Verbraucherschutz und Produktsicherheit

EU-Kommission zieht Notbremse - Giftinformationszentren

|   Verbraucherschutz und Produktsicherheit

Sechs Monate vor dem eigentlichen Start der neuen EU-Meldepflichten an Giftinformationszentren (Anhang VIII der CLP-Verordnung) wird immer klarer, dass der Termin nicht zu halten sein wird. Wie in der letzten Ausgabe berichtet, hat eine im Auftrag der EU-Kommission durch-geführte Machbarkeitsstudie die schlimmsten Befürchtungen der Farben-industrie bestätigt: Demnach drohen durch die neuen Meldepflichten den Farbenherstellern in Europa Kosten in Milliardenhöhe. Nun hat die Kommission offensichtlich die Notbremse gezogen und angekündigt, den Start der Meldepflicht um ein Jahr zu verschieben.

Im Vorfeld der nächsten Experten-Runde im CARACAL-Ausschuss (Competent Authorities for REACH and CLP) am 1. und 2. Juli hat die Kommission den Entwurf für eine Verordnung unter dem neuen Verfahren „delegierter Rechtsakt“ (siehe Artikel zu Titandioxid, Seite 9) verschickt. Darin schlägt sie eine Ver-schiebung der ersten Meldefrist für Verbraucherprodukte um ein Jahr auf den 1.1.2021 vor. Die europäische Farbenindustrie hatte sich zuletzt intensiv für eine Verschiebung stark gemacht, um Zeit für die notwendigen Änderungen des Anhang VIII zu gewinnen. Experten gehen nun davon aus, dass die Kommission die Verordnung im Sommer oder spätestens im Frühherbst verabschieden wird.

Der Kommissions-Vorschlag geht noch nicht auf die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie und deren Lösungsvorschläge ein. Für die Farben- und Lackindustrie ist insbesondere eine praktikablere Ausgestaltung der Gruppenmeldungen mit Hilfe des „Generischen Produktidentifikators“ wichtig. Dessen breite Nutzung wird derzeit dadurch vereitelt, dass keines der Rezepturbestandteile als „gesundheitsgefährdend“ eingestuft sein darf.

Die Branche macht geltend, dass diese Einschränkung, die sehr spät im Gesetzgebungsverfahren auf Druck Frankreichs aufgenommen wurde, unverhältnismäßig sei. Zur Begründung verweist sie u.a. auf den sehr geringen Anteil von entsprechenden Anfragen bei Giftinformationszentren: In Deutschland etwa liege der Anteil von Meldungen für (Dispersions-) Farben und Lacken
bei 0,48 %, darunter sei kein einziger schwerer Fall.

Die Branche fordert daher, den Generischen Produktidentifikator “Farbstoffe” auch dann zuzulassen, wenn in der farbgebenden Pigmentpaste eigentlich als „gesundheitsgefährdend“ eingestufte Stoffe, z.B. zur Konservierung, enthalten sind.

Die Verschiebung des EU-Meldebeginns beschert dem deutschen Gesetzgeber Arbeit, denn die Übergangsfrist des § 28 Absatz 12 Chemikaliengesetz (ChemG) gilt nur noch bis Ende des Jahres. Eine Anpassung der Übergangsfrist an das neue Datum 1.1.2021 ist erforderlich. Allerdings ist die Zeit dafür sehr knapp. 

Ohne eine Verlängerung der Übergangsfrist droht Unternehmen in Deutschland eine – auf ein Jahr beschränkte – Sonderregelung: Nach § 16e ChemG müssten die Meldungen an das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erfolgen. Da diese jedoch überwiegend noch manuell erfolgt, wäre eine solche Sonderlösung für viele kleine und mittelständische Unternehmen ein nicht zu stemmender bürokratischer Aufwand. Bisher kommen die Farben- und Lackhersteller ihrer Meldepflicht unbürokratisch durch die Übersendung von Sicherheitsdatenblättern an das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (ISi) nach.

Dr. Martin Engelmann


Warum das Thema für die Farbenindustrie wichtig ist

Derzeit sind die meisten Wandfarben und auch viele Lacke für Verbraucher nicht als „gefährlich“ gekennzeichnet und müssen daher auch nicht an die Giftinformationszentren gemeldet werden. Allerdings bereitet sich die Branche derzeit darauf vor, dass ab 1. Mai 2020 das weit verbreitete Konservierungsmittel 2-Methylisothiazol-3(2H)-on (auch: Methylisothiazolinon; kurz: MIT) als hautsensibilisierend eingestuft ist und ab einem Konzentrationsgrenzwert von 15 ppm entsprechend gekennzeichnet werden muss.

MIT schützt wasserbasierte Farben und Lacke vor dem Befall durch Pilze und Bakterien. MIT wirkt allerdings unterhalb von 15 ppm in Farben und Lacken nicht mehr. Deshalb wird die Kennzeichnung der meisten Farben und Lacke als „gefährlich“ unvermeidbar, genauso wie die Pflicht zur Meldung an die Giftinformationszentren.

Der VdL geht davon aus, dass mindestens 3/4 der Wandfarben und nahezu sämtliche wasser-basierten Lacke in Deutschland konserviert sind, die meisten davon mit MIT. Aufgrund der regulatorischen Verknappung der für Farben und Lacke nutzbaren Konservierungsmittel ist eine Substitution von MIT in den meisten Fällen nicht möglich. Erschwerend kommt hinzu, dass eines der wenigen alternativen und noch nicht neu eingestuften Konservierungsmittel, BIT, für absehbare Zeit kaum verfügbar ist.

 

KOMMENTAR

Taten folgen lassen

Wenn es der Bundesregierung Ernst ist damit, weitere unnötige Belastungen von der deutschen Industrie abzuwenden, hat sie mit dem Thema Giftinformation eine gute Möglichkeit, den Worten Taten folgen zu lassen. Bis zum Inkrafttreten der EU-Meldepflicht sollte es bei der bisherigen unbürokratischen Praxis bleiben. Dafür muss aber die Übergangsfrist so schnell wie möglich verlängert werden. Die BfR-Meldung ist für eine Branche mit vielen Hunderttausend Rezepturen nicht praktikabel. Es ist außerdem den mittelständischen Farben- und Lackherstellern nicht zuzumuten, innerhalb eines Jahres zweimal das Meldeverfahren zu wechseln.