Lacke & Farben aktuell

KI in der Farbenindustrie (Serie: III)

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Daten und Know-how in Werte verwandeln

Künstliche Intelligenz (KI) wird auch unsere Branche verändern. Um zu verstehen, welche Entwicklungen im Bereich KI und Maschinelles Lernen bereits heute in der Lack- und Druckfarbenindustrie angestoßen werden, welche Chancen dies bietet, wohin die Entwicklung gehen könnte und wo die Grenzen von KI liegen, beleuchtet unsere Serie viele Aspekte des umfassenden Themas. Diesmal stehen die Arbeitsqualifikationen im Fokus.

Wie wir in den letzten beiden Ausgaben von „Wir sind Farbe“ aufgezeigt haben, ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bzw. Maschinellem Lernen in zahlreichen Projekten, an denen Unternehmen der Lack- und Druckfarbenindustrie beteiligt sind, bereits in vollem Gange. Vor den größten Herausforderungen stehen vor allem kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), die aktuell den größten Nachholbedarf im Bereich Digitalisierung und beim Einsatz von KI-Systemen haben. Neben den Prozessen, die sich in allen Unternehmensbereichen verändern werden, gilt es jedoch auch, die Kompetenzen der Mitarbeitenden in den Unter nehmen auf die neuen Anforderungen anzupassen. Ohne Qualifizierung wird die Umsetzung nicht funktionieren. Die Weiterentwicklung der Fähigkeiten ist – gerade in Zeiten eines zunehmenden Fachkräftemangels – der Schlüssel für den zukünftigen Unternehmenserfolg.

 

BESSER, BILLIGER, SCHNELLER

Die Entwicklung von KI-Systemen hat heute grundsätzlich nicht die Schöpfung einer Superintelligenz zum Ziel, wie manche behaupten, sondern wird in den meisten Fällen ganz bodenständige Dinge vorantreiben, die schon immer das Bestreben allen Unternehmertums waren und wahrscheinlich auch bleiben werden: Dabei geht es um die Optimierung der Produktion, das Einsparen menschlicher Arbeitskraft , eine verbesserte Qualitätskontrolle, effizientere Lieferketten, kostengünstige individualisierbare Produkte, die Minimierung von Ausfallzeiten, eine effiziente Lagerhaltung; und nicht zuletzt um eine differenzierte, an den individuellen Bedürfnissen der Kunden orientierte Ansprache. Letztlich geht es also um den Erhalt und Ausbau der Konkurrenzfähigkeit. Und so werden nahezu alle Unternehmen, die das verstanden haben, mit dem Einsatz von KI den nächsten Schritt in die Zukunft machen.

Bislang werden KI-Systeme mithilfe von Maschinellem Lernen und der Entwicklung von Algorithmen für eine bestimmte Aufgabenstellung trainiert. Dieser Aspekt zieht sich durch die meisten Anwendungen, von der Rohstoffauswahl über die Entwicklung neuer Rezepturen bis hin zur Erkennung von Farbtonabweichungen und Lackierfehlern. Hier sind beispielsweise KI-Systeme schneller und genauer als das menschliche Auge. Und sie haben noch einen entscheidenden Vorteil: Sie ermüden nicht und haben niemals Konzentrationsschwierigkeiten. Aber das ist längst nicht alles: Mit einem Blick auf die vielen produktbezogenen Arbeitsbereiche in den Unternehmen der Farben- und Lackindustrie wird schnell deutlich, welche Aufgaben sich bereits verändert haben oder noch verändern werden. Darüber hinaus hält KI auch in allen anderen Unternehmensbereichen Einzug.

 

KI MISCHT SICH ÜBERALL EIN

Wie vielfältig die Einsatzmöglichkeiten von KI sind, zeigt eine Auswahl von Forschungs- und Anwendungsprojekten, die aktuell durchgeführt werden oder sich bereits im industriellen Einsatz befinden. Sie zeigen beispielhaft, wie vielfältig die Anwendungsmöglichkeiten von KI im Bereich Farben, Lacke und Beschichtungen tatsächlich sind. Schon bei der Auswahl von Rohstoff en und anderen Inhaltsstoff en könnte mit Hilfe von KI-Modellen das Verhalten und die Eigenschaft en der einzelnen Komponenten in verschiedenen Umgebungen vorhergesagt werden. Das kann die Entwicklung von Lacken und Beschichtungen enorm verbessern und beschleunigen. Forschungsprojekte dazu laufen, es wird aber sicher noch einige Jahre brauchen, bis diese Vision Wirklichkeit wird. Mit Hilfe von KI-Systemen entstehen in vielen Unternehmen zudem digitale Farbverwaltungssysteme, um das bestehende Wissen neu zu organisieren, um diese Daten für die Zukunft nutzbar zu machen.

 

EIN „THERMOMIX“ FÜR DIE LACKPRODUKTION

KI-Algorithmen finden ebenfalls Anwendung bei der Optimierung der Produktion von Farben, Lacken und Beschichtungen, um diesen Prozess effizienter und kostensparender zu gestalten, beispielsweise durch das Reduzieren von Nacharbeiten. Hier liegen große Potenziale, wie es unter anderem ein vom Hessischen Ministerium für digitale Strategie und Entwicklung geförderte, kürzlich abgeschlossene Machbarkeitsstudie der superus Datenmanagement GmbH zeigt, an dem auch der Farbenhersteller G.E. HABICH'S SÖHNE GmbH & Co. KG beteiligt war. Qualitätsschwankungen bei Inhaltsstoffen sowie andere Einflüsse können während der Lackherstellung zu Störungen führen, so dass Farbmischungen immer wieder korrigiert und angepasst werden müssen. Ziel des Projekts war, diese Nacharbeiten durch die Entwicklung eines selbstlernenden Assistenten und entsprechender Algorithmen signifikant zu senken. Die im Laufe des Projekts eruierten Einsparpotenziale beim Rohstoffverbrauch und CO2-Ausstoß sind vielversprechend. Ein individualisiertes KI-System kann grundsätzlich dabei helfen, Mischvorgänge und die Qualitätskontrolle zu automatisieren. Dabei werden Qualitätsmängel und Fehler frühzeitig erkannt, Fehlchargen weitgehend vermieden und die Produktionseffizienz erhöht. Im Prinzip funktioniert dies wie ein Thermomix für die Lackproduktion. Auch im Farbtonmanagement kann KI mittels exakter Messungen Farben anpassen und optimieren, damit Abweichungen minimieren und eine höchstmögliche Farbtontreue gewährleisten. Mit Hilfe KI-gestützter Systeme ist es zudem möglich, bei der kundenspezifischen Farbtonentwicklung schneller und präziser auf die Anforderungen abgestimmte Ergebnisse zu erzielen.

Bei der Verarbeitung von Lacken und Beschichtungen werden KI-Systeme zur Fehlerdiagnose und -behebung eingesetzt. Dies geschieht schon jetzt in der Autoserienfertigung, wo KI zur Identifizierung von Lackierfehlern sowie zur Entwicklung von Lösungen zur Fehlerbehebung eingesetzt wird. Ebenfalls in der Serienlackierung hat sich mittlerweile KI für die vorausschauende Wartung, die so genannte Predictive Maintenance, von Lackier- und Beschichtungsanlagen etabliert. Somit können ungeplante Ausfallzeiten minimiert werden. Auch eine KI gestützte effiziente Zusammenarbeit von Menschen und Maschine erzeugt in diesem Bereich Mehrwert. So setzt man in der Lackiererei im Ford-Werk Köln auf kollaborative Roboter. Sie prüfen den Korrosionsschutz der Karosserien auf mit bloßem Auge kaum sichtbare Unebenheiten, beseitigen sie und saugen auch gleich den beim Schleifen und Polieren anfallenden Staub auf. So belieben den Mitarbeitern diese Arbeiten erspart, sie müssen die Arbeiten der KI-Systeme nur noch kontrollieren.

 

VERÄNDERUNGEN IN DER ARBEITSWELT

Diese Beispiele zeigen: KI ist unzweifelhaft in der Lackbranche angekommen und wird neben Veränderungen in Entwicklungs-, Produktions- und Verarbeitungsprozessen auch die Aufgabenfelder und Anforderungsprofi le aller Mitarbeiter verändern. Viele, vor allem immer wiederkehrende Tätigkeiten und Arbeitsschritt e sind grundsätzlich geeignet, um von künstlich intelligenten Systemen ausgeführt zu werden. Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit hierzulande sollte auf Grund dieser Entwicklung jedoch nicht zu befürchten sein. Darin sind sich führende Ökonomen und Wirtschaftsinstitute einig. Auch wenn die Analysten von Morgan Stanley weltweit einen Wegfall von rund 300 Millionen Jobs durch den Einsatz von KI prognostizieren, es werden wohl deutlich mehr neue Arbeitsplätze mit neuen Anforderungsprofilen geschaffen werden.

Die Herausforderung für die Unternehmen besteht jetzt darin, ihre Mitarbeiter einerseits auf die Arbeit mit KI-Systemen vorzubereiten und andererseits zu Tätigkeiten weiter zu qualifizieren, die eben nicht von künstlicher Intelligenz übernommen werden können.

 

KI ERFORDERT ZUSÄTZLICHE SCHLÜSSELKOMPETENZEN

Mitarbeitende in der Farbenbranche sollten deshalb künftig über eine Vielzahl von Kenntnissen verfügen, um effektiv mit künstlicher Intelligenz umgehen zu können. Schlüsselbereiche sind ein Grundverständnis der Funktionsweise von KI-Systemen, Datenkompetenz, Programmierkenntnisse, um KI-Modelle zu verstehen und gegebenenfalls anzupassen, Kenntnisse in maschinellem Lernen und Deep Learning, Fähigkeiten im Umgang mit KI-Werkzeugen und -Plattformen sowie die Kollaboration mit KI-Systemen. Sie müssen die Qualität von Daten analysieren und interpretieren können. Darüber hinaus sollten Mitarbeiter mit der Überwachung von KI-Systemen vertraut sein und generierte Ergebnisse interpretieren können. Schließlich sind auch KI-Modelle nicht fehlerfrei. Nur durch den Erwerb dieser Kenntnisse werden Mitarbeiter besser auf die Integration von KI vorbereitet sein und können die Vorteile dieser Technologie dann auch effektiv nutzen.

 

MEHR ZEIT FÜR DAS WESENTLICHE

Dieses Wissen durch gezielte Aus- und Weiterbildungsmaß nahmen zu vermitteln, ist vielleicht die wichtigste Aufgabe für Unternehmen und Ausbildungseinrichtungen, um Mitarbeiter fit für die Zukunft zu machen. Denn die Integration von KI in die Arbeitswelt hat bereits begonnen und wird signifikante Veränderungen in der Arbeits- und Unternehmenskultur mit sich bringen. Die Bereitschaft und Fähigkeit, sich im Sinne eines „lebenslangen Lernens“ fortlaufend weiterzubilden, um die neuen und sich permanent verändernden Technologien zu verstehen und zu beherrschen, wird für den Erfolg der einzelnen Mitarbeiter und der Unternehmen zukünftig entscheidend sein. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit werden zu zentralen Faktoren, um in der Arbeitswelt von Morgen erfolgreich zu sein.

Zwar können KI-Systeme zahlreiche Aufgaben automatisieren, aber kritisches und kreatives Denken sowie die Fähigkeit, komplexe Probleme lösen zu können, bleiben menschliche Stärken, deren Wert in Zukunft steigen wird. Aufgabenbereiche, in denen zwischenmenschliche Fähigkeiten gefragt sind, die soziale und emotionale Intelligenz erfordern, werden weniger von Automatisierung betroffen sein. Denn Kommunikationsfähigkeit, Empathie und Teamarbeit sind nach wie vor entscheidend. Das heißt, Mitarbeiter können sich auf Tätigkeiten konzentrieren, die menschliche Urteilsfähigkeit erfordern und kreativen Mehrwert bieten. Es ist davon auszugehen, dass der menschliche Verstand unverzichtbar bleibt, um die Aufgaben für und die Ergebnisse von KI-Systemen beurteilen und entsprechend lenken zu können.

 

DIGITALE WIDERSTANDS FÄHIGKEIT ERHÖHEN

Doch bei all den Chancen und Veränderungspotenzialen darf man auch die potenziellen Gefährdungen für die Betriebsabläufe nicht übersehen, die mit der Digitalisierung und der Implementierung von KI-Systemen einhergehen. Digitale Infrastrukturen sind sowohl hardware- als auch softwareseitig vulnerabel. Die Branche muss gewahr sein, dass manipulierte Hardware, Hackerangriff e und Stromausfälle eine ständige Gefährdung für das Wertvollste darstellen, was ein Unternehmen in Zeiten der Digitalisierung zu bieten hat: seine Daten und die Fähigkeit, Produkte herzustellen. Die Angst davor, dass KI eigenständige Entscheidungen trifft, scheint dagegen unbegründet. Denn KI wendet nur an, was Menschen vorgegeben haben- aber man darf sich durchaus Sorgen darüber machen, wozu Menschen diese Technik nutzen werden.