Lacke & Farben aktuell

Serie: European Green Deal (IV)

|   Green Deal

Im Kreislauf in die Zukunft?

Ein Jahr ist vergangen, seit die Europä­ische Kommission im März 2020 den Neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft als eine der ersten richtungsweisenden Komponenten des Green Deals veröffentlicht hat. Wurden darin bisher verschiedene strategische Handlungsfelder für den Aufbruch zu einer nachhaltigeren europäischen Industrie skizziert, wird sich nun die Betroffenheit der Farben-, Lack- und Druckfarbenindustrie immer mehr verdeutlichen.
 

„In diesem Jahr werden wir den Rahmen für nach­haltige Produkte vorlegen. Die Produktanforderungen werden nach Nachhaltigkeitsprinzipien gestaltet, sodass Produkte auf dem EU-Markt länger halten, leichter zu reparieren und leichter zu recyclen sind sowie recycelten Inhalt beinhalten.“ Virginijus Sinkevičius, EU-Kommissar für Umwelt, Ozeane und Fischerei

Auch das Europäische Parlament hat sich mittlerweile damit befasst. Der Neue Aktionsplan für die Kreislauf­wirtschaft (Circular Economy Action Plan – CEAP) gibt als Ziel eine branchenübergreifende Entkopplung der Ressourcennutzung vom wirtschaftlichen Wachstum vor – gleichzeitig soll aber die Wettbewerbsfähigkeit langfristig gesichert werden. Auf diese Weise möchte Brüssel zum einen dem kontinuierlichen Anstieg des Rohstoffbedarfs begegnen, zum anderen dem Ruf nach einem nachhaltigeren Konsumverhalten entsprechen. Der CEAP listet dazu 35 Einzelinitiativen auf, welche die insgesamt sieben Handlungsfelder des Aktionsplans in den kommenden Jahren gestalten sollen.

Für die Mitgliedsunternehmen des VdL zeigen sich bisher vor allem die folgen­den drei Handlungsfelder als relevant:

1. Ein Rahmen für nach­haltige Produktpolitik

Die EU-Kommission zielt hier einerseits auf das Produktdesign ab. Um dieses nachhaltiger auszurichten, soll die Kreislauffähigkeit ein wesentlicher Bestandteil des Produktdesigns werden. Dafür wurde bereits eine Ausweitung der Ökodesign-Richtlinie auf nicht-energieverbrauchsrelevante Produkte angekündigt. Es sollen produktspezifische Standards festgelegt werden, die Produkte langlebig, wiederverwendbar und leicht reparierbar machen sollen. Dies könnte bedeuten, dass die EU-Kommission am Schreibtisch Mindestanforderungen für Farben und Lacke festlegt. Doch dabei besteht die Gefahr von Doppelregulierungen und Inkonsistenzen mit bestehenden Gesetzeswerken, und es drohen Ein­schränkungen bei der Marktzulassung. Zugleich sollen Nach­­haltigkeitskriterien etabliert werden, sodass Produkte weniger Gefahrstoffe enthalten, aufgerüstet und recycelt werden können sowie recycelte Inhalte enthalten, ressourcen- und energieeffizient sind. Der Aspekt der Wiederverwendbarkeit spielt dabei auch eine Rolle.

Andererseits will die EU-Kommission die Konsumenten stärken. Qualifizierte Kaufentscheidungen sollen zukünftig auf Basis von einheitlichen und transparenten Umweltaussagen, sogenannten Green Claims, getroffen werden können. Die Lack- und Druckfarbenindustrie unterstützt im Rahmen ihrer Produktverantwortung bereits die Entwicklung von Konzepten zum ökologischen Fußabdruck (wie z. B. die PEF-Methodik) und nutzt – wo immer sinnvoll – bereits bestehende Instrumente wie EPDs.

Ein Recht auf Reparatur soll die Langlebigkeit von Produkten sicherstellen. Ebenso soll die öffentliche Beschaffung verstärkt nachhaltig agieren. Das Kreislaufprinzip soll darüber hinaus in Produktionsprozessen angewendet werden und so zu Klimaneutralität und einer gesteigerten Materialeffizienz führen, die gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit fördern soll.

2. Zentrale Produktwertschöpfungsketten

Der CEAP adressiert in diesem Handlungsfeld insbesondere die zentralen Sektoren der Verpackungs-, Kunststoff- sowie Bauwirtschaft. Übergeordnetes Ziel ist es, eine optimierte Materialeffizienz entlang dieser Produktwertschöpfungsketten zu etablieren. Ein erhöhter Einsatz von Rezyklaten und das Vermeiden von Abfällen, aber auch eine gesteigerte Verwendung von biobasierten Ausgangsstoffen stehen dabei im Vordergrund der Kommissionsbemühungen. Konkrete Initiativen wurden bereits in Bezug auf die angedachten Veränderungen der Vorschriften zur Verringerung von Verpackungsabfällen und in Form einer Novellierung der Bauprodukteverordnung auf den Weg gebracht. Beschränkungen von absichtlich zugesetztem Mikroplastik sowie Einzelmaßnahmen zu rezyklierten Kunststoffen wurden bereits für das zweite bzw. dritte Quartal 2021 angekündigt. Die Mitgliedsunternehmen des VdL liefern Produkte in alle diese Industriezweige und werden ihren Teil dazu beitragen, dass die Zielsetzungen des Green Deal erreicht werden können.

„Im Design von Produkten muss man bereits berück­sichtigen, ob das Produkt auch recycelt werden kann.“ Jan Huitema, CEAP Berichterstatter Renew Europe

3. Weniger Abfall, mehr Wert

Zur verbesserten Abfallpolitik strebt die EU-Kommission die Förderung von Abfallvermeidung und des Kreislaufprinzips an. Dabei gilt stets die Abfallhierarchie reduzieren, wiederverwenden und rezyklieren. Als weitere Stärkung des Kreislaufprinzips soll ein standardisierter EU-Markt für Sekundärrohstoffe geschaffen werden. Neue Richtlinien zur erweiterten Herstellerverantwortung sollen zur Abfallvermeidung beitragen. Der Aspekt der giftfreien Umwelt soll unter anderem sicherstellen, dass Abfälle von Kontaminationen, also auch von bestimmten chemischen Stoffen, befreit sind. Dies offenbart erneut die Gefahr der gegenseitigen Abhängigkeiten der verschiedenen Strategiepapiere des Green Deals. In diesem Fall zur Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit: Eine ohnehin herausfordernde Aufgabe für die Hersteller von Farben, Lacken und Druckfarben erfährt so eine weitere Komplexitätssteigerung.



Das sagt der VdL

Auch wenn die grundsätzliche Ausrichtung des Green Deals und damit auch des CEAP richtig und wichtig ist, wird in diesem Aktionsplan der EU-Kommission eine sehr eindimensionale Interpretation von Nachhaltigkeit an den Tag gelegt. Der unausge­wogene Fokus auf das Ökologische bei gleichzeitiger Vernachlässigung der beiden gleichwertigen Nachhaltigkeitskriterien Ökonomie und Soziales offenbart verschiedene Zielkonflikte im CEAP:

Design für Nachhaltigkeit, nicht für Recyclingfähigkeit

Recyclingfähigkeit darf kein Selbstzweck sein und ist nicht gleichbedeutend mit Nachhaltigkeit. Eine umfassendere Betrachtung zum Nachhaltigkeitsbeitrag muss daher berücksichtigt werden. Dazu zählen Langlebigkeit, Wert- und Nutzenerhalt von Produkten und Infrastrukturen sowie Produktsicherheit und Verbraucherschutz. Beispielsweise ermöglichen Doseninnenlacke die sichere und langfristige Bevorratung von Lebensmitteln; Korrosionsschutzmittel garantieren die Langlebigkeit von kritischen Infrastrukturen wie Brücken, Schienen oder Windrädern; Flugzeuglacke leisten einen wertvollen Beitrag zu treibstoffeffizienter Mobilität.

Ein perfekt rezyklierbares Produkt, das aber seine Funktion und den Herstellungszweck nicht erfüllt, kann deshalb nicht nachhaltig sein.

In puncto Recycling ist dazu auch eine Unterscheidung wichtig: So gibt es Materialien, die selbst rezykliert werden sollen (wie Kunststoffe), Produkte, die die Rezyklierbarkeit ermöglichen und nicht behindern (wie Farben und Lacke) und Produkte, die Teil des biologischen Kreislaufs sind (wie Lebensmittel oder Düngemittel). Lacke und Farben werden in verschiedenen Eigenschaften auf Substraten, etwa Kunststoffe oder Papier, angewendet. Selbstverständlich ist es nicht möglich und für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft auch nicht erforderlich, dass Lacke oder Farben nach der Applikation wieder zu neuen Lacken und Farben rezykliert werden. An die Substrate wird jedoch der Anspruch gestellt, rezyklierbar zu sein. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Lacke und Farben so formuliert und appliziert werden sollen, dass sie ihre Funktion erfüllen (z. B. Schutz) und gleichzeitig die Wiederverwertbarkeit des Substrats gewährleistet bleibt. Zum Beispiel sollen Zeitungen so bedruckt werden, dass das Zeitungspapier in den Kreislauf zurückgeführt werden kann. Daher lassen sich Zeitungsdruckfarben in einem geeigneten Deinkingschritt beim Papierrecycling entfernen.

Beschichtungen leisten also einen wichtigen Beitrag zur zirkulären Wertschöpfung.

Ganzheitliche Betrachtung der Lebenszyklen

Die Verarbeitungsfähigkeit der Produkte muss durch den Einsatz bestimmter chemischer Stoffe weiterhin über lange Zeit möglich sein. Wasserbasierte Farben und Lacke müssen beispielsweise mit Konservierungsmitteln geschützt werden, um ihre Haltbarkeit zu gewährleisten. So werden Abfälle reduziert und damit ein Beitrag zur Ressourceneffizienz geleistet.

Sorgfältige Anwendung und eine verantwortungsvolle Verwendung ermöglichen dabei den sicheren Einsatz. Auch nachhaltigkeitsfördernde Produktfunktionalitäten werden durch den Einsatz von Konservierungsmitteln sichergestellt. Filmgeschützte Bautenanstrichmittel schützen Fassaden vor Algenbefall und können dazu beitragen, die Intervalle notwendiger Renovierungsarbeiten zu vergrößern. Dies trägt erheblich zur Materialeffizienz bei. Um diese wichtigen sozio-ökonomischen und ökologischen Produktfunktionalitäten sichtbar zu machen, sind Analysen des gesamten Produktlebenszyklus notwendig.

Nur eine ganzheitliche Betrachtung im Sinne aller Nachhaltigkeits­kriterien kann die notwendige Produktperfomance und Produktsicherheit auch zukünftig gewährleisten.

Technologieoffenheit

Vordefinierte Produktmerkmale und ein einseitiges Verständnis von Nachhaltigkeit hemmen das Innovationspotenzial der Unternehmen. Das widerspricht dem angestrebten Wandel zu nachhaltiger, zirkulärer Wertschöpfung und beeinträchtigt die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Forschung und Entwicklung zu neuen Technologien müssen deshalb unterstützt und nicht gebremst werden.

Zirkuläre Wirtschaft kann nur mit Technologieoffenheit gelingen, nicht mit bürokra­tischen Auflagen inklusive planwirtschaft­licher Tendenzen.­


­­FAZIT

Ganz im Sinne des ganzheitlichen Nachhaltigkeitsanspruchs des Green Deals dürfen nachhaltigkeitsfördernde Produktmerkmale und innovative Produktionsprozesse bei der Umsetzung der Einzelmaßnahmen des CEAP nicht in Vergessenheit geraten. Die anstehenden Weichenstellungen im Rahmen des Neuen Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft müssen deshalb den Lösungsbeitrag der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie berücksichtigen. Ansonsten läuft die Europäische Kommission schon heute Gefahr, den eigenen Anspruch einer grünen Wachstumsstrategie und das Verlangen nach europäischen Vorreitern zu verfehlen. Die Industrie muss sich schließlich nicht nur im Kreis, sondern auch in die Zukunft bewegen können.


Lucas Schmidt-Weihrich
ist Referent für Public Affairs
beim VdL.
schmidt-weihrich@vci.de