Lacke & Farben aktuell

"Den Sturm überstehen"

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Roald Johannsen ist Vice President, Automotive Coatings, EMEA, und Mitglied der Geschäftsleitung von PPG Industries Europe. Auf Verbandsseite ist er derzeit Vorstandsvorsitzender der CEPE.

Interview mit Roald Johannsen

Roald Johannsen, Sie begleiten den europäischen Farbenverband CEPE bereits seit vielen Jahren. Seit September 2021 sind Sie Vorsitzender. Können Sie bereits ein erstes Resümee für diese zwölf Monate ziehen? Was haben Sie auf den Weg bringen können?

Wir müssen sicherstellen, dass alle unsere Stakeholder und Partner die Bedeutung und den Beitrag unserer Branche für Wirtschaft und Nachhaltigkeit verstehen. Wir wollen daher den Fokus von der Frage, was Beschichtungen sind, auf ihre tatsächliche Funktion und ihre positiven Auswirkungen lenken. Wir arbeiten intensiv mit diesen ­Interessengruppen zusammen, um den langfristigen Wohlstand der Branche zu sichern, indem wir EU und nationale Institutionen beraten, damit sie Entscheidungen auf der Grundlage genauer und ausgewogener Informationen treffen. So wollen wir auch das Bewusstsein für Lacke und ihren Wert für die Gesellschaft schärfen.
 
Ein gutes Beispiel dafür war zuletzt unsere ­Initiative, die Öffentlichkeit auf das Thema der Verfügbarkeit von Konser­vierungsmitteln aufmerksam zu machen. Wir haben im März eine wirksame PR-Kampagne durchgeführt, um die technische Lobbyarbeit zu ergänzen. Dies wurde stark von unseren Partnerverbänden untertsützt und hat ein großes Medienecho hervor gerufen. Aber es bleibt viel zu tun. Seit mehreren Jahren stehen wir vor großen Herausforderungen, darunter der Brexit, Covid-19, eine noch nie dagewesene Rohstoffinflation, Engpässe und Unterbrechungen in der Lieferkette und jetzt ein Krieg in der Ukraine, der zu einer Energiekrise und einer weiteren Kosteninflation führt. Um diesem sich ständig verändernden Umfeld Rechnung zu tragen, wollen wir unsere Vision, unseren Auftrag und unsere Ziele bald neu formulieren.

 

Wir leben in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, leiden unter hohen Rohstoffpreisen, und das Gespenst der Rezession geht um in der Welt. Wie sehen Sie den nächsten Monaten entgegen?

Die gesamte Branche in Europa leidet unter Rohstoffknappheit und Inflation; zur Jahresmitte waren die Rohstoffkosten um fast ein Viertel höher als vor einem Jahr, und die Logistikkosten sind nach wie vor hoch. Das ist die beispielloseste und dramatischste Situation, die ich in meinen 30 Jahren in der Farbenindustrie erlebt habe. Wir haben es jetzt mit zusätzlichen ­Problemen zu tun – wir kommen aus einer Logistikkrise und geraten in eine breite Inflations- und Energiekrise. Wir müssen als Industrie hart daran arbeiten, alternative Energiequellen zu finden, unsere Produktion effizienter zu gestalten und die Bedeutung staatlicher Unterstützung für unsere Industrie zu betonen, damit wir diesen Sturm überstehen.  

 

Der Ukraine-Krieg hält Europa unter Druck, welche Auswirkungen befürchten Sie auf unsere Branche?

Die Situation in der Ukraine hat direkte Auswirkungen auf die Branche, da die steigenden Energiekosten die Inflation anheizen und die Nachfrage dämpfen. Mehrere unserer Mitgliedsunternehmen, sowohl multinationale Konzerne als auch KMU, waren in Russland tätig, das hat zusätzlichen Druck verursacht.  

 

Europa steht ein kalter Winter bevor. Sehen Sie Gefahren für die europäische Farbenindustrie und was können die Unternehmen tun, um Engpässe zu vermeiden?

Die Energiekrise ist sicherlich eine große Herausforderung. Obwohl die Lackproduktion weniger energie- und erdgasintensiv ist als andere vorgelagerte Zweige der chemischen Wertschöpfungskette, werden die steigenden Energiekosten unsere Verarbeitungskosten weiter in die Höhe treiben und die Margen unserer Mitgliedsunternehmen unter Druck setzen. Die Hauptsorge ist, dass Versorgungsprobleme und höhere Energiepreise weiterhin die Produktion von Rohstoffen, einschließlich Harzen, beeinflussen werden. Dies könnte möglicherweise zu erneuter Produktknappheit führen. Wir müssen als Industrie hart daran arbeiten, alle verfügbaren alternativen Energiequellen zu maximieren und andere Methoden zum Heizen und Verarbeiten in Betracht zu ziehen. Dies ist ein weiterer Bereich, in dem wir die Bedeutung staatlicher Unterstützung betonen müssen.

 

Der Brexit 2020 war ein schwerer Schlag für die europäische Familie. Welche Auswirkungen hatte er speziell auf CEPE?

Wir arbeiten weiterhin sehr eng mit unseren Verbandspartnern im Vereinigten Königreich zusammen und haben eine Brexit-Taskforce gebildet, um die ­möglichen Folgen dieser Veränderung zu untersuchen, insbesondere die Entwicklung einer britischen Version von REACH. Während UK neue Vorschriften entwickelt, wollen wir sicherstellen, dass diese Vorschriften keine Region gegenüber der anderen bevorzugen und dass weiterhin gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen im Vereinigten Königreich und in der EU herrschen.

 

Der EU Green Deal setzt die europäische Chemie unter Druck. Müssen wir das Tempo der Kommission beibehalten oder hoffen Sie angesichts der Weltlage auf ein Moratorium?

Im Mittelpunkt des EU Green Deal steht der Wunsch nach sicheren Produkten und einer nachhaltigen, kohlenstoffneutralen Umwelt. Auf dem Weg dahin wird es bis 2050 immer wieder neue Krisen oder Zyklen geben, die wir durchlaufen müssen. Meiner Meinung nach müssen wir den Kurs beibehalten und die Regulierungsagenda über den gesamten herausfordernden Zyklus oder über künftige Probleme, die uns wahrscheinlich bevorstehen, meistern. Wir müssen die aktuelle Situation, so schwierig sie auch sein mag, mit der Notwendigkeit in Einklang bringen, auf die Ziele des EU Green Deal hinzuarbeiten, und unsere Branche muss dabei eine wichtige Rolle spielen. Aber wir müssen auch sicherstellen, dass es einen ganzheitlichen Ansatz gibt, der neue Sicherheitsansprüche gegenüber dem gesellschaftlichen Nutzen abwägt und es auch den Unternehmen ermöglicht, zu florieren.

 

Ist es nicht an der Zeit für eine nachhaltigere Farbenindustrie im Allgemeinen? Welche Veränderungen sind für Sie denkbar. Vor welchen Herausforderungen stehen wir?

Ich bin der festen Überzeugung, dass Beschichtungen in ihrem eigentlichen Wesen Nachhaltigkeit gewährleisten und ermöglichen. Wir schützen alle Arten von Substraten, wodurch diese länger halten. Das ist die eigentliche Definition von Nachhaltigkeit. Die Branche arbeitet hart daran, unsere Produkte selbst noch nachhaltiger zu machen, zum Beispiel durch den verstärkten Einsatz von erneuerbaren Rohstoffen und effizienteren Produktionsverfahren.

Wie ich am Anfang sagte, müssen wir dafür sorgen, dass die Menschen die Bedeutung und den Beitrag unserer Produkte für Wirtschaft und Nachhaltigkeit verstehen. Wir müssen stärker betonen, was Beschichtungen tatsächlich leisten. Es gibt so viele großartige Beispiele: Im Verkehrswesen tragen Beschichtungen dazu bei, die massive Umstellung auf Elektro­mobilität zu ermöglichen, beispielsweise durch Brandschutzbeschichtungen für Batterien und reflektierende Straßen­markierungsfarben. Antivirale und antibakterielle Beschichtungen tragen dazu bei, Menschen vor Krankheiten zu schützen, während Verpackungsbeschichtungen die Sicherheit von Lebensmittel- und Getränkebehältern, insbesondere von unbegrenzt recycelbaren Dosen, gewährleisten.

Und vergessen wir nicht die positive Wirkung von Farben; ob auf Wänden, Gegenständen oder Kunstwerken. Wir wissen, dass Farben unsere geistige Gesundheit verbessern können – und sorgfältig ausgewählte Farben im Klassenzimmer können die Lernerfahrungen von Kindern verbessern.
 


Roald Johannsen ist Vice President, Automotive Coatings, EMEA, und Mitglied der Geschäftsleitung von PPG Industries Europe. Auf Verbandsseite ist er derzeit Vorstandsvorsitzender der CEPE (European Paints and Coatings Association). Er begann seine Karriere in der Lackindustrie 1992 als Trainee in Südafrika und kam 1999 zu PPG. Vor seiner jetzigen Tätigkeit war er von 2013 bis 2015 General Manager, Packaging Coatings, EMEA,
und von 2007 bis 2013 General Manager, Aerospace, EMEA. Der Vater einer Tochter und eines Sohnes hat einen Bachelor-Abschluss und einen Ehrendoktortitel der Universität Kapstadt und spricht fließend Englisch, Afrikaans und Deutsch.