Lacke & Farben aktuell

„Das Wasser durfte nicht gewinnen“

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Vor zwei Jahren wurde die Lackfabrik Jansen von den Fluten der Ahr zerstört. Heute werden in Ahrweiler wieder erfolgreich Farben, Lacke und Spachtel hergestellt. Der Betrieb hat sich neu erfunden.

Es regnet im Ahrtal. Auch an diesem Donnerstag im Juni 2023. Die Meteorologen warnen vor Starkregen und späteren Gewitterstürmen. Die Kinder bekommen deswegen schulfrei. „Nicht ängstlich, aber umsichtig“ sei man im Ahrtal geworden, sagt Alexandra Bardjasteh auf dem Betriebsgelände der Lackfabrik Jansen. Neben der großen Kastanie im Hof, die seit dem 14. Juli 2021 zu einem festen Ort der Zusammengehörigkeit geworden ist, treffen sich die Gesellschafterin der Lackfabrik Jansen, ihr Bruder Dirk Mayer-Mallmann, seit 01.06.2023 geschäftsführender Gesellschafter, und Geschäftsführer Peter Jansen mit „Wir Sind Farbe“ – um einen Blick zurückzuwerfen, aber vor allem, um nach vorne zu blicken.

 

400 Meter Abstand waren nicht genug

Vor zwei Jahren gab es tagelangen Starkregen, so auch am Nachmittag des 14. Juli 2021. Aber von einer Katastrophe ging kaum jemand aus. „Als ich an dem Abend nach Hause fuhr, rief ich einem Kollegen noch zum Spaß zu, er solle auf seinen Keller und auf trockne Füße achten“, erinnert sich Peter Jansen. 135 Liter Regen auf den Quadratmeter lassen in den nächsten Stunden alle Flüsse über die Ufer treten, fließen in die Straßen, fluten die Keller. Am Oberlauf der Ahr beginnt eine Flutwelle, die auf ihrem Weg durchs Tal Brücken einreißt, Häuser zerstört, Bäume entwurzelt. Um kurz vor 23 Uhr fällt in Ahrweiler der Strom aus, das Telefonnetz bricht zusammen.

Erst um 23:10 Uhr heulen die Alarmsirenen, bereits um 23:30 trifft die zerstörerische Flutwelle den Ort. „Das Wasser kam in dieser Nacht gleich aus zwei Richtungen“, berichtet Jansen, der damals vergeblich versuchte, noch den Wachmann telefonisch zu erreichen. Der hatte sich schon in das obere Stockwerk gerettet. 2,70 Meter Höhe maß die Flutwelle, die sich über Ahrweiler und das 2 Hektar große Werksgelände ergoss. Wasser, Schlamm, Unrat, mitgerissene Bäume, Autos. Die schmutzige Flut ergoss sich ins Lager, in die Produktionshallen und den Verwaltungstrakt, sie schob Dutzende Autos auf dem Werks gelände ineinander und sickerte in jede Maschine. „Wir hatten volle Hütte, erst eingekauft, uns mit Rohstoffen eingedeckt“, so Jansen. Glück im Unglück, denn wenigstens trieben so die vollen Tanks nicht auf.

 

134 Menschen sterben in den Fluten

„Es war auch so schlimm genug“, sagt Mayer-Mallmann und zeigt im Hof auf die dort festgeschraubte Hochwassermarke.

„Unvergessen“ steht da in genau 2,70 Meter Höhe. Diese Nacht forderte entlang der Ahr – wohl auch aufgrund verspäteter Alarmierung – 134 Menschenleben. Dirk Mayer-Mallmann und seine Schwester selbst haben in dieser Horrornacht ihre Eltern verloren. Sie wohnten in einem benachbarten Haus, das von der Flut zerstört wurde. Am Morgen danach kamen viele der 80 Mitarbeiter in den zerstörten Betrieb, obwohl sie selbst vom Hochwasser betroffen waren.

 

Die Stunde null

„Das war unsere Stunde null“, sagt Geschäftsführer Peter Jansen heute. „Es konnte jetzt nur noch bergauf gehen.“ Niemand im Betrieb war jemals zuvor in so einer Situation, es gab weder Erfahrung noch eine Anleitung. Natürlich wollte man Schlamm, Dreck und Gestank schnell beseitigen. Aber am wichtigsten sei zuerst eine Struktur gewesen, um Dinge nicht doppelt und dreifach zu tun. Am Anfang habe die Bestandsaufnahme wenig Positives gebracht: Gebäude, Produktion, Lager, Versand, IT und vor allem die Maschinen – fast alles war verdreckt und beschädigt. Selbst zwei Drittel der abgefüllten Ware waren nicht mehr zu gebrauchen und mussten fachgerecht entsorgt werden. Der Betrieb stand auf der Kippe. Hoffnung machte ein erster Termin mit der Versicherung. „Ich kann nur jedem raten, gut mit der eigenen Versicherung zu stehen“, so Jansen heute. „Die Zusagen kamen schnell und waren eine Basis, von der wir starten konnten.“ Das und die Entscheidung der selbst betroffenen Gesellschafter, den Betrieb wieder aufzubauen. „Seitens der Familie haben wir keine Sekunde übers Aufgeben nachgedacht“, sagt Bardjasteh heute. „Das Wasser durfte nicht gewinnen!“

 

Zeit des Anpackens, Zeit der Hilfe

25 Prozent der Belegschaft waren privat sehr stark von der Flut betroffen, trotzdem packten alle mit an. Jeder tat, was er am besten konnte, und mancher entdeckte ganz neue Talente in der Not. „Die einen packten an, die anderen organisierten im Backoffice.“ Auch Hilfe von außen erreichte Jansen. „Mitbewerber, Handel, Maler, Geschäftskontakte … viele unterstützten uns direkt, spendeten und sprangen uns tatkräftig zur Seite. Das war unglaublich und bewegend. Ohne diese Hilfe hätten wir es auch nicht geschafft“, bedankt sich Jansen. Das sei auch die Zeit gewesen, in der sich die Arbeit in Verbänden und Berufsorganisationen, die kollegialen Netzwerke extrem bewährt hätten. Man habe sich nie wirklich alleine gefühlt. Es waren die Stunden des Anpackens, in denen gefühlt halb Deutschland an den Wochenenden ins Ahrtal fuhr. „Die Hilfe, die wir erfahren haben, war unglaublich. Wildfremde Menschen packten mit an, man lernte jeden Tag neue Leute kennen“, sagt Presse- Sprecherin Claudia Sonnenberg. Von der Verwaltung war wenig zu erwarten, dort hatte man eigene Probleme, kümmerte sich um die Grundversorgung der Bevölkerung und auch noch wochenlang um die Bergung der Opfer. Dem zweitgrößten Industriebetrieb vor Ort traute man viel zu: Ab und an schaute jemand im Werk vorbei und habe alle machen lassen, berichten die drei. Auch das Hilfsleistungssystem der chemischen Industrie TUIS inspizierte die Aufräumarbeiten und leistete Hilfe. „Es war eine Zeit, in der man sich in komplexen Lebenslagen neu kennenlernte, zusammenrückte“, berichtet Mayer-Mallmann. „Aber diesen üblen Geruch habe ich noch heute in der Nase.“

 

„Wir müssen wieder Geld verdienen!“

 „Unsere Priorität war, so schnell wie möglich zu produzieren, um wieder Geld zu verdienen“, erklärt Jansen die Priorisierung beim Aufbau. Dazu mussten die wichtigsten Maschinen wieder funktionieren. Das Technikteam versuchte zu reparieren, was ging. Da kam auch die große Erfahrung vieler Mitarbeiter zugute. Beispielsweise bei Andreas Harz: „Wir haben uns alle mit Herzblut an die Arbeit gemacht“, sagt er und lehnt an einer von ihm instandgesetzten Abfüllmaschine.

„Von der kannte ich jede Schraube, jedes Ventil. Wenn so eine Maschine dann wieder läuft, das erfüllt einen mit Stolz.“ „Kämpfe für das, was du liebst!“ Diesen Stolz zeigen die Mitarbeiter bis heute: „Kämpfe für das, was du liebst!“ machten sie zu ihrem Motto. Das war der Claim für den Wiederaufbau, prangt am Werkstor und an den Bauzäunen. Die ersten Dosen, die als „Sonderschichtlack“ fremdproduziert wurden, tauchten im Herbst 2021 wieder im Groß- und Fachhandel auf. Der Betrieb selbst wird im Oktober 2021 für „schlammfrei“ erklärt. Dann folgt am 17. Dezember ein Meilenstein: Mit dem ersten selbst abgefüllten Spachtel, dem traditionellen „Ahrweilit“ nimmt die Lackfabrik Jansen die Produktion am Standort Ahrweiler wieder auf. Und am 14. Juli 2022, genau ein Jahr nach der Katastrophe, führt man eine neue Holzdeckenfarbe ein, die man auch am Standort produziert.

„An diesen Klang der Farbdosen bei der Abfüllung werde ich mich immer erinnern. Das war der Moment, als gestandene Männer und Frauen Tränen in den Augen hatten. Das war etwas ganz Besonderes“, erinnert sich Bardjasteh.

Zurück am Markt Heute produziert Jansen wieder alle Produkte in Ahrweiler. Man ist wieder am Markt und hat sogar neue Produkte entwickelt. Die „Regalmeter“ im Handel konnten wieder eingenommen werden. Die Holzdeckenfarbe, ein Treppenlack und ein Primer sind Innovationen, die auf ihrem Etikett mit Stolz das Datum „14.07.“ tragen. Jansen will die Krise als Erneuerung nutzen, plant weitere Innovationen, und auch am Standort will man neu investieren: In fünf Jahren wird die Lackfabrik 150 Jahre alt und will dann in neuen Gebäuden feiern. Abb. links: Andreas Harz Abb. rechts: Flutschaden im Verwaltungsgebäude Abb. unten: engagierte Fluthelfer Aber noch immer sind Baumaschinen auf dem Gelände unterwegs, werden Schäden repariert, Leitungen verlegt, Energie Versorgung neu geplant. Beim Wiederaufbau ist ein mögliches Hochwasser immer berücksichtigt, denkt man die Katastrophe mit. Letzte Gutachten werden geschrieben, weil noch immer nicht über alle Hilfen und Beihilfen entschieden wurde.

 

Was bleibt aus dieser Zeit?

Was bleibt aus diesen beiden Jahren, in denen auch noch Rohstoffkrise und Covid-19 den Wiederaufbau erschwert haben? Die Videos auf der Homepage berichten von Stolz und Zuversicht, Gemeinsamkeit und Dankbarkeit. An „Zuversicht und Teambewusstsein“ erinnert sich Dirk Mayer-Mallmann, der künftig mit Peter Jansen das Unter nehmen führen wird. „Dankbarkeit und Demut“ nennt Alexandra Bardjasteh, die sich um den strategischen Einkauf kümmert. „Das war eine anstrengende Zeit, an die ich mich immer erinnern werde, und ich bin stolz, dabei gewesen zu sein“, zieht Peter Jansen Resümee.

Spürbar ist: Alle Mitarbeiter dieser Zeit bei Jansen verbindet etwas Besonderes, diese Zeit hat alle geprägt und zu einer Einheit gemacht. Das merkt man auch beim Abschied, im Nieselregen unter der alten Kastanie, die in den letzten beiden Jahren viel Zerstörung, Verzweiflung und Trauer, aber auch Fleiß und Hoffnung erlebt hat. Und das Wichtigste ist: Die Flut konnte ihr nichts anhaben. Sie steht noch.

Alexander Schneider