Lacke & Farben aktuell

Die Macht der Farben

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Von der Barbie-Welt bis zur Ampelkoalition – über die gesellschaftliche und politische Relevanz von Farben

Farben bestimmen seit jeher unsere Lebenswirklichkeit. Sie prägen das Erscheinungsbild der Natur- und Kulturräume, in denen wir uns bewegen, ermöglichen Kommunikation, schaffen Orientierung und bilden Identität. Und das, obwohl wir die zu Grunde liegenden Farbcodes meist nur unbewusst wahrnehmen. Doch Farben haben sich in ihrer Bedeutung im Laufe der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung immer auch verändert und damit nicht zuletzt kulturelle, gesellschaftliche und politische Umbrüche begleitet, wenn nicht sogar vorangetrieben. Denken wir zum Beispiel an die „Orangene Revolution“ 2004 in der Ukraine. Mitunter lassen sich diese Umbrüche auch als eine Kulturgeschichte der Entwicklungs- und Produktionsmöglichkeiten von Farben und Farbtönen selbst beschreiben. So war es beispielsweise die Erfindung von Ölfarben in Tuben, die das Malen in der Natur und damit den Impressionismus erst möglich gemacht haben.

Waren Farben in früheren Jahrhunderten beispielsweise Ausdruck von sozialem Status, so sind sie heute in modernen, konsumorientierten Gesellschaften mit das wichtigste Differenzierungsmerkmal von Stars und Marken im Kampf um die Aufmerksamkeit potenzieller Kunden und Fans. Mit unzähligen Produkten, Werbung, Medien, aber auch neuen Technologien werden heute immer wieder neue Farbcodes und Bedeutungen geschaffen. Farben sind mittlerweile nicht nur ein wichtiger Faktor im ökonomischen Wettstreit, sondern spiegeln gleichzeitig auch den Zeitgeist wider. Und sie waren und sind stets auch Instrumente einer Zuschreibung mit einer starken Definitionsmacht, sei es in Bezug auf gesellschaftliche Stellung, geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung oder auch politische Haltung.

 

Wie Farbe in die Gesellschaft kommt

Die vergangenen sechzig Jahre sind geprägt von einem kontinuierlichen Wandel der Farbwelten. Ob Mode, Konsumgüter, Autos, Interieurs und Fassaden: Alles war und ist permanent im Fluss in unserem „durchgefärbten“ Alltag. Und jedes Jahr werden neue Farbwelten kreiert und Trends ausgerufen. Aber wie kommen diese zeitgeisttypischen Farbwelten zustande und wie entstehen neue Farbcodes überhaupt? Zu diesem Zweck beschäftigen sich Trendforscher in erster Linie damit, die Einstellung von Menschen gegenüber Farben zu prognostizieren. Dazu ist es notwendig, wichtige Stimmungen und Strömungen weltweit zu beobachten und zu analysieren – in Politik, Sozioökonomie, Ökologie, Technologie, Kunst und Design. Subtile Veränderungen in diesen Bereichen wahrzunehmen, ist der Schlüssel, um künftige Farbtrends erfolgreich aufzuspüren.

Was in der Welt geschieht, übersetzen Trendforscher also in Farbe.

Wie gesellschaftliche und politische Stimmungen in die Entwicklung von Farbtrends bzw. Trendfarben eingehen können, zeigt beispielhaft die Wahl der Farbe des Jahres 2016. Das renommierte Pantone Color Institut aus New Jersey, eine Institution in Sachen Farbe, identifizierte damals auf Basis umfassender wissenschaftlicher Studien zu Farbtrends in der Mode und anderen Industriesparten zum ersten Mal in seiner Geschichte mit den Pastelltönen Rose Quartz (ein blasses Rosa) und Serenity (ein helles Blau) gleich zwei Töne als Farbe des Jahres. Als Gegenpol zu den politischen und gesellschaftlichen Konflikten und den damit verbundenen emotionalen Unsicherheiten in jenem Jahr, wie Flüchtlingskrise, Brexit, Terroranschläge in Europa und Trump-Wahl sollen die beiden zarten Pastelltöne im Zusammen spiel Stress, Erwartungsdruck und Ungewissheit entgegenwirken und so Harmonie schaffen und positive Gefühle verstärken.

Die Farbe des Jahres 2024 heißt übrigens Peach Fuzz, ein samtiger Pfirsichton, der in Zeiten von Krieg und Krisen Optimismus und Heiterkeit ausstrahlen soll.

 

Mit Farben gesellschaftliche Verantwortung übernehmen

Auch Hersteller von Farben und Lacken haben ein starkes Interesse daran, im Trendscouting mitzumischen. Hier gilt es unter anderem den Zeitgeist zu erspüren und Farbtrends zu setzen, die in Zukunft den Markt bestimmen sollen. Dies gilt insbesondere für Autolacke. Bei Wand- und Fassadenfarben geht es heute um mehr als die Entwicklung möglichst trendiger oder ausgefallener Farbtöne. Mit ihren – mittlerweile häufig mit Unterstützung Künstlicher Intelligenz entwickelten – neuen Farbtonpaletten wollen Unternehmen der Lack- und Farbenindustrie sowohl der ökologischen Nachhaltigkeit ihrer Produkte, aber zunehmend auch ihrer sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Das heißt, es geht um die Bedürfnisse der Menschen in ihren jeweiligen Lebenskontexten und Umgebungen, oder wie es das FarbDesignStudio eines großen Herstellers formuliert: „Wer mit Farbe gestaltet, übernimmt Verantwortung – im Kontext des Arbeitens, des Wohnens, des Lebens überhaupt.“

 

Barbie-Pink – hat Geschlecht eine Farbe?

Rosa steht für Mädchen, Hellblau für Jungs? Mit Farben sind in verschiedener Hinsicht mitunter auch stereotype Zuschreibungen verbunden, die durchaus tiefgehende Auswirkungen auf die Entwicklung und das Leben Heranwachsender in Gesellschaften haben können. Exemplarisch lässt sich dies an der Farbe Pink verfolgen, an der sich gesellschaftlicher Wandel sowie die Instrumentalisierung und Umdeutung dieser (Misch-)Farbe ablesen lassen. Nicht erst seit der Premiere des Barbie-Films im Sommer 2023 ist Pink en vogue. Geboren wurde der Rosa-Trend bereits in den 1950er Jahren mit den pinken Barbie-Verpackungen. Und er ist bis heute nicht abgerissen.

Immer wieder wird in zahlreichen Artikeln behauptet, dass bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts Rosa bzw. Pink zunächst die Farbe für Jungen gewesen sei, während Mädchen in Hellblau gekleidet wurden. Eine aufwendige Forschung in Zeitschriften und Büchern über den Zeitraum vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die 1920er des Psychologieprofessors Marco Del Guidice konnte jedoch keine Belege für diese These erbringen.

 

Manche Farben werden verboten

Fest steht: Pink ist nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute die Farbe, mit der sich viele kleine Mädchen umgeben wollen. Der Spielzeug- und Modeindustrie gefällt das. Kaum eine Familie kann sich heute diesem Gender-Marketing entziehen. Mittlerweile gibt es jedoch Gegenbewegungen, um diese geschlechterstereotypen Farbzuschreibungen zu verändern und damit auch das Bewusstsein für die Selbstbestimmung zu schärfen. So ist beispielsweise in Spanien seit 2022 die Wahl stereotyper Farben in der Werbung verboten. Dahinter steht das Recht auf Selbstbestimmung der Geschlechtsidentität, und die Erkenntnis, dass die Entwicklung von Kindern keineswegs nach stereotypen Jungs- und Mädchenklischees verlaufen muss. Dazu passt die Nachricht, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft der Herren bei der Europameisterschaft im kommenden Jahr in pinken (Auswärts-)Trikots auflaufen wird.

Auch die feministische Bewegung hat Pink für sich entdeckt und nutzt diese Farbe, die auch immer noch für klassische Weiblichkeit steht, auf ironische Weise in allen Schattierungen in ihrem Kampf gegen Geschlechterstereotypen.

 

Nachdem abfällige Bemerkungen bekannt wurden, die Donald Trump über weibliche Genitalien gemacht hatte, demonstrierten im Jahr 2017 tausende Protestierende mit sogenannten Pussy Hats – pinkfarbenen Wollmützen – gegen seine Amtseinführung.

 

Graue Diktaturen vs. bunte Demokratien?

Unter der Nazidiktatur war Pink die Farbe, mit der homosexuelle Männer in Konzentrations- und Vernichtungslagern markiert wurden. Während des Kalten Kriegs und der Hatz auf vermeintliche Kommunisten in den USA nannte man Menschen, die verdächtigt wurden, mit der „Roten Gefahr“ zu sympathisieren, „Pinkos“. Wie diese Beispiele zeigen, haben Farbzuschreibungen eine hohe Deutungsmacht und können konkrete Folgen für den Leib und das gesellschaftliche Leben haben. Gleichzeitig machen Farben oder deren Fehlen gesellschaftliche Zusammenhänge sehr einfach und schnell sichtbar. Während in Demokratien meist individuelle Farbenvielfalt angesagt ist, und das nicht nur auf politischer Ebene, zeigt ein Blick auf autokratische bzw. offen diktatorische Staaten eine stark reduzierte Farbpalette im öffentlichen Raum, vor allem in Bezug auf die Farbigkeit der Kleidung. Offene, vielfältige und diverse Gesellschaften drücken diese Eigenschaften durch starke Farbigkeit aus. So dokumentieren beispielsweise die Regenbogenfarben die Vielfalt der LGBTQ-Community augenfällig. Man könnte auch sagen: Dort, wo Vielfalt und Diversität herrscht, gibt es auch Farbenvielfalt. Die Natur verdeutlicht das ebenfalls eindrucksvoll: Überall, wo viele verschiedene Tier- und Pflanzenarten auf engem Raum leben, wie beispielsweisen in Riffen oder im tropischen Regenwald, geht es am buntesten zu.

 

Neue Trends im politischen Farbenspiel

Auch das Vokabular der politischen Kommunikation ist vielfarbig. Der Grund dafür ist simpel: Massenbewegungen brauchen Symbole, und Farben sind nun mal das einfachste und gleich zeitig wirkungsvollste Mittel, um politische Überzeugungen nach außen zu tragen. Deshalb geht es bei politischen Aktivitäten auch immer darum „Farbe zu bekennen“.

Die Farbe Rot ist aus physiologischer Sicht dabei sicher die beste Wahl, weil sie von unseren Augen am schnellsten und stärksten wahrgenommen wird.

Die Farbskala in der deutschen Politik hat sich in den letzten Jahrzehnten nur wenig verändert. Zu Schwarz, Rot, Grün, Gelb kamen noch Blau und Magenta hinzu. Dieses Orientierungsmuster ordnet nicht nur das parteipolitische Spektrum. Es hilft auch Wahlergebnisse übersichtlich und schnell erfassbar darzustellen. Nach außen helfen Farben, gemeinsame Positionen sichtbar zu machen. Nach innen fungieren sie als programmatisches Bindemittel, das Zusammenhalt schafft und Identität stiftet. Man erinnere sich nur an den Slogan der Jungen Union aus den 1970er Jahren „Black is beautiful“. Und bei der SPD wirkt bis heute immer noch der alte Spruch „Rot ist die Liebe.“

Allerdings befindet sich auch die altbekannten politischen Farben lehre im Wandel: Einerseits fordert die zunehmend zersplitterte Parteienlandschaft eine immer größere Farbpalette. Gleichzeitig lockern die Parteien selbst die geläufigen parteipolitischen Farbzuordnungen, nicht zuletzt, weil sich Wählerverhalten und -potenziale verändern.

Mit Unterstützung von Experten aus der bunten Werbewelt arbeiten Parteien an ihrem Image und passen sich damit aktuellen Trends an.

Sie wollen sich in der Öffentlichkeit frischer, moderner und aufgeschlossener präsentieren, um neue Wählergruppen zu erschließen. Ein prominentes Beispiel ist die FDP, die 2015 mit Magenta neben Gelb und Blau eine neue Zusatzfarbe einführte – ein aufmerksamkeitsstarker Farbton, der als Zeichen des Aufbruchs gilt. Auch die CDU hat ihr Erscheinungsbild erst im vergangenen Jahr grundlegend geändert. Auf dem neuen Türkis-Ton mit dem klingenden Namen „Cadenabbia“ im Hintergrund stehen nach vielen Jahren im „sozialdemokratischen“ Rot die drei Buchstaben CDU jetzt wieder in schwarz. Nach Parteiaussagen soll man mit dem Türkis Vitalität, Zuversicht und Freiheit verbinden. Kritiker sehen in diesem Farbton eine recht große Nähe zum Blau der AFD. Am einfachsten bei der Farbwahl hatten es „Die Grünen“. Bei keiner anderen Partei ist die Verbindung zwischen programmatischer Ausrichtung und Farbgebung so offensichtlich. Grün ist der Inbegriff von Natur und Vegetation. Deshalb setzt die Partei bei ihrem visuellen Profil nach wie vor ganz auf ihre Traditionsfarbe, die sie als politischen Akteur unverwechselbar macht.

Das Wahljahr 2024 wird zeigen, wie und ob sich das Verhältnis der politischen Farbspektrum zueinander verändert und was dies für unsere Gesellschaft bedeutet.

Die Macht der Farben

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Von der Barbie-Welt bis zur Ampelkoalition – über die gesellschaftliche und politische Relevanz von Farben

Farben bestimmen seit jeher unsere Lebenswirklichkeit. Sie prägen das Erscheinungsbild der Natur- und Kulturräume, in denen wir uns bewegen, ermöglichen Kommunikation, schaffen Orientierung und bilden Identität. Und das, obwohl wir die zu Grunde liegenden Farbcodes meist nur unbewusst wahrnehmen. Doch Farben haben sich in ihrer Bedeutung im Laufe der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung immer auch verändert und damit nicht zuletzt kulturelle, gesellschaftliche und politische Umbrüche begleitet, wenn nicht sogar vorangetrieben. Denken wir zum Beispiel an die „Orangene Revolution“ 2004 in der Ukraine. Mitunter lassen sich diese Umbrüche auch als eine Kulturgeschichte der Entwicklungs- und Produktionsmöglichkeiten von Farben und Farbtönen selbst beschreiben. So war es beispielsweise die Erfindung von Ölfarben in Tuben, die das Malen in der Natur und damit den Impressionismus erst möglich gemacht haben.

Waren Farben in früheren Jahrhunderten beispielsweise Ausdruck von sozialem Status, so sind sie heute in modernen, konsumorientierten Gesellschaften mit das wichtigste Differenzierungsmerkmal von Stars und Marken im Kampf um die Aufmerksamkeit potenzieller Kunden und Fans. Mit unzähligen Produkten, Werbung, Medien, aber auch neuen Technologien werden heute immer wieder neue Farbcodes und Bedeutungen geschaffen. Farben sind mittlerweile nicht nur ein wichtiger Faktor im ökonomischen Wettstreit, sondern spiegeln gleichzeitig auch den Zeitgeist wider. Und sie waren und sind stets auch Instrumente einer Zuschreibung mit einer starken Definitionsmacht, sei es in Bezug auf gesellschaftliche Stellung, geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung oder auch politische Haltung.

 

Wie Farbe in die Gesellschaft kommt

Die vergangenen sechzig Jahre sind geprägt von einem kontinuierlichen Wandel der Farbwelten. Ob Mode, Konsumgüter, Autos, Interieurs und Fassaden: Alles war und ist permanent im Fluss in unserem „durchgefärbten“ Alltag. Und jedes Jahr werden neue Farbwelten kreiert und Trends ausgerufen. Aber wie kommen diese zeitgeisttypischen Farbwelten zustande und wie entstehen neue Farbcodes überhaupt? Zu diesem Zweck beschäftigen sich Trendforscher in erster Linie damit, die Einstellung von Menschen gegenüber Farben zu prognostizieren. Dazu ist es notwendig, wichtige Stimmungen und Strömungen weltweit zu beobachten und zu analysieren – in Politik, Sozioökonomie, Ökologie, Technologie, Kunst und Design. Subtile Veränderungen in diesen Bereichen wahrzunehmen, ist der Schlüssel, um künftige Farbtrends erfolgreich aufzuspüren.

Was in der Welt geschieht, übersetzen Trendforscher also in Farbe.

Wie gesellschaftliche und politische Stimmungen in die Entwicklung von Farbtrends bzw. Trendfarben eingehen können, zeigt beispielhaft die Wahl der Farbe des Jahres 2016. Das renommierte Pantone Color Institut aus New Jersey, eine Institution in Sachen Farbe, identifizierte damals auf Basis umfassender wissenschaftlicher Studien zu Farbtrends in der Mode und anderen Industriesparten zum ersten Mal in seiner Geschichte mit den Pastelltönen Rose Quartz (ein blasses Rosa) und Serenity (ein helles Blau) gleich zwei Töne als Farbe des Jahres. Als Gegenpol zu den politischen und gesellschaftlichen Konflikten und den damit verbundenen emotionalen Unsicherheiten in jenem Jahr, wie Flüchtlingskrise, Brexit, Terroranschläge in Europa und Trump-Wahl sollen die beiden zarten Pastelltöne im Zusammen spiel Stress, Erwartungsdruck und Ungewissheit entgegenwirken und so Harmonie schaffen und positive Gefühle verstärken.

Die Farbe des Jahres 2024 heißt übrigens Peach Fuzz, ein samtiger Pfirsichton, der in Zeiten von Krieg und Krisen Optimismus und Heiterkeit ausstrahlen soll.

 

Mit Farben gesellschaftliche Verantwortung übernehmen

Auch Hersteller von Farben und Lacken haben ein starkes Interesse daran, im Trendscouting mitzumischen. Hier gilt es unter anderem den Zeitgeist zu erspüren und Farbtrends zu setzen, die in Zukunft den Markt bestimmen sollen. Dies gilt insbesondere für Autolacke. Bei Wand- und Fassadenfarben geht es heute um mehr als die Entwicklung möglichst trendiger oder ausgefallener Farbtöne. Mit ihren – mittlerweile häufig mit Unterstützung Künstlicher Intelligenz entwickelten – neuen Farbtonpaletten wollen Unternehmen der Lack- und Farbenindustrie sowohl der ökologischen Nachhaltigkeit ihrer Produkte, aber zunehmend auch ihrer sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Das heißt, es geht um die Bedürfnisse der Menschen in ihren jeweiligen Lebenskontexten und Umgebungen, oder wie es das FarbDesignStudio eines großen Herstellers formuliert: „Wer mit Farbe gestaltet, übernimmt Verantwortung – im Kontext des Arbeitens, des Wohnens, des Lebens überhaupt.“

 

Barbie-Pink – hat Geschlecht eine Farbe?

Rosa steht für Mädchen, Hellblau für Jungs? Mit Farben sind in verschiedener Hinsicht mitunter auch stereotype Zuschreibungen verbunden, die durchaus tiefgehende Auswirkungen auf die Entwicklung und das Leben Heranwachsender in Gesellschaften haben können. Exemplarisch lässt sich dies an der Farbe Pink verfolgen, an der sich gesellschaftlicher Wandel sowie die Instrumentalisierung und Umdeutung dieser (Misch-)Farbe ablesen lassen. Nicht erst seit der Premiere des Barbie-Films im Sommer 2023 ist Pink en vogue. Geboren wurde der Rosa-Trend bereits in den 1950er Jahren mit den pinken Barbie-Verpackungen. Und er ist bis heute nicht abgerissen.

Immer wieder wird in zahlreichen Artikeln behauptet, dass bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts Rosa bzw. Pink zunächst die Farbe für Jungen gewesen sei, während Mädchen in Hellblau gekleidet wurden. Eine aufwendige Forschung in Zeitschriften und Büchern über den Zeitraum vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die 1920er des Psychologieprofessors Marco Del Guidice konnte jedoch keine Belege für diese These erbringen.

 

Manche Farben werden verboten

Fest steht: Pink ist nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute die Farbe, mit der sich viele kleine Mädchen umgeben wollen. Der Spielzeug- und Modeindustrie gefällt das. Kaum eine Familie kann sich heute diesem Gender-Marketing entziehen. Mittlerweile gibt es jedoch Gegenbewegungen, um diese geschlechterstereotypen Farbzuschreibungen zu verändern und damit auch das Bewusstsein für die Selbstbestimmung zu schärfen. So ist beispielsweise in Spanien seit 2022 die Wahl stereotyper Farben in der Werbung verboten. Dahinter steht das Recht auf Selbstbestimmung der Geschlechtsidentität, und die Erkenntnis, dass die Entwicklung von Kindern keineswegs nach stereotypen Jungs- und Mädchenklischees verlaufen muss. Dazu passt die Nachricht, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft der Herren bei der Europameisterschaft im kommenden Jahr in pinken (Auswärts-)Trikots auflaufen wird.

Auch die feministische Bewegung hat Pink für sich entdeckt und nutzt diese Farbe, die auch immer noch für klassische Weiblichkeit steht, auf ironische Weise in allen Schattierungen in ihrem Kampf gegen Geschlechterstereotypen.

 

Nachdem abfällige Bemerkungen bekannt wurden, die Donald Trump über weibliche Genitalien gemacht hatte, demonstrierten im Jahr 2017 tausende Protestierende mit sogenannten Pussy Hats – pinkfarbenen Wollmützen – gegen seine Amtseinführung.

 

Graue Diktaturen vs. bunte Demokratien?

Unter der Nazidiktatur war Pink die Farbe, mit der homosexuelle Männer in Konzentrations- und Vernichtungslagern markiert wurden. Während des Kalten Kriegs und der Hatz auf vermeintliche Kommunisten in den USA nannte man Menschen, die verdächtigt wurden, mit der „Roten Gefahr“ zu sympathisieren, „Pinkos“. Wie diese Beispiele zeigen, haben Farbzuschreibungen eine hohe Deutungsmacht und können konkrete Folgen für den Leib und das gesellschaftliche Leben haben. Gleichzeitig machen Farben oder deren Fehlen gesellschaftliche Zusammenhänge sehr einfach und schnell sichtbar. Während in Demokratien meist individuelle Farbenvielfalt angesagt ist, und das nicht nur auf politischer Ebene, zeigt ein Blick auf autokratische bzw. offen diktatorische Staaten eine stark reduzierte Farbpalette im öffentlichen Raum, vor allem in Bezug auf die Farbigkeit der Kleidung. Offene, vielfältige und diverse Gesellschaften drücken diese Eigenschaften durch starke Farbigkeit aus. So dokumentieren beispielsweise die Regenbogenfarben die Vielfalt der LGBTQ-Community augenfällig. Man könnte auch sagen: Dort, wo Vielfalt und Diversität herrscht, gibt es auch Farbenvielfalt. Die Natur verdeutlicht das ebenfalls eindrucksvoll: Überall, wo viele verschiedene Tier- und Pflanzenarten auf engem Raum leben, wie beispielsweisen in Riffen oder im tropischen Regenwald, geht es am buntesten zu.

 

Neue Trends im politischen Farbenspiel

Auch das Vokabular der politischen Kommunikation ist vielfarbig. Der Grund dafür ist simpel: Massenbewegungen brauchen Symbole, und Farben sind nun mal das einfachste und gleich zeitig wirkungsvollste Mittel, um politische Überzeugungen nach außen zu tragen. Deshalb geht es bei politischen Aktivitäten auch immer darum „Farbe zu bekennen“.

Die Farbe Rot ist aus physiologischer Sicht dabei sicher die beste Wahl, weil sie von unseren Augen am schnellsten und stärksten wahrgenommen wird.

Die Farbskala in der deutschen Politik hat sich in den letzten Jahrzehnten nur wenig verändert. Zu Schwarz, Rot, Grün, Gelb kamen noch Blau und Magenta hinzu. Dieses Orientierungsmuster ordnet nicht nur das parteipolitische Spektrum. Es hilft auch Wahlergebnisse übersichtlich und schnell erfassbar darzustellen. Nach außen helfen Farben, gemeinsame Positionen sichtbar zu machen. Nach innen fungieren sie als programmatisches Bindemittel, das Zusammenhalt schafft und Identität stiftet. Man erinnere sich nur an den Slogan der Jungen Union aus den 1970er Jahren „Black is beautiful“. Und bei der SPD wirkt bis heute immer noch der alte Spruch „Rot ist die Liebe.“

Allerdings befindet sich auch die altbekannten politischen Farben lehre im Wandel: Einerseits fordert die zunehmend zersplitterte Parteienlandschaft eine immer größere Farbpalette. Gleichzeitig lockern die Parteien selbst die geläufigen parteipolitischen Farbzuordnungen, nicht zuletzt, weil sich Wählerverhalten und -potenziale verändern.

Mit Unterstützung von Experten aus der bunten Werbewelt arbeiten Parteien an ihrem Image und passen sich damit aktuellen Trends an.

Sie wollen sich in der Öffentlichkeit frischer, moderner und aufgeschlossener präsentieren, um neue Wählergruppen zu erschließen. Ein prominentes Beispiel ist die FDP, die 2015 mit Magenta neben Gelb und Blau eine neue Zusatzfarbe einführte – ein aufmerksamkeitsstarker Farbton, der als Zeichen des Aufbruchs gilt. Auch die CDU hat ihr Erscheinungsbild erst im vergangenen Jahr grundlegend geändert. Auf dem neuen Türkis-Ton mit dem klingenden Namen „Cadenabbia“ im Hintergrund stehen nach vielen Jahren im „sozialdemokratischen“ Rot die drei Buchstaben CDU jetzt wieder in schwarz. Nach Parteiaussagen soll man mit dem Türkis Vitalität, Zuversicht und Freiheit verbinden. Kritiker sehen in diesem Farbton eine recht große Nähe zum Blau der AFD. Am einfachsten bei der Farbwahl hatten es „Die Grünen“. Bei keiner anderen Partei ist die Verbindung zwischen programmatischer Ausrichtung und Farbgebung so offensichtlich. Grün ist der Inbegriff von Natur und Vegetation. Deshalb setzt die Partei bei ihrem visuellen Profil nach wie vor ganz auf ihre Traditionsfarbe, die sie als politischen Akteur unverwechselbar macht.

Das Wahljahr 2024 wird zeigen, wie und ob sich das Verhältnis der politischen Farbspektrum zueinander verändert und was dies für unsere Gesellschaft bedeutet.