Lacke & Farben aktuell

Kaum Rücksicht auf wirtschaftliche Realitäten

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Wenn Regulierung zur Belastung wird: Die Revision der CLP-Verordnung war Bestandteil der „Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit“ der Europäischen Kommission und ist am 10. Dezember 2024 in Kraft getreten. Mit ihr sollte die CLP-Verordnung unter anderem an die Globalisierung, die technologische Entwicklung und neue Verkaufsformen wie etwa Online-Marktplätze angepasst werden. In der Praxis ergeben sich erhebliche Mehrkosten, Mehraufwand und strukturelle Eingriffe.

Besondere Bedeutung für die Farben-, Lack- und Druckfarbenindustrie haben die Vorgaben zur Kennzeichnung, zu Werbung und Fernabsatz sowie die Umsetzungsfrist bei Neueinstufung durch den Vorlieferanten bzw. Rohstoffhersteller. VdL und auch CEPE haben sich im Prozess der Revision mit Nachdruck gegenüber Kommission, Parlament und Rat für praktikablere Lösungen eingesetzt – die verabschiedete Fassung bleibt dennoch mit erheblichen Belastungen für die Branche verbunden. In einem Workshop der EU-Kommission, der Mitte Mai stattfand und in dem die Praxisfähigkeit der neuen Regelungen diskutiert wurde, wurden von VdL, CEPE und vielen anderen europäischen Industrievertretern erneut die Argumente der Industrie eingebracht. Im Nachgang bestand nun die Möglichkeit für die Unternehmen, kurzfristig ihre besondere Betroffenheit zu kommunizieren, was viele VdL-Mitgliedsunternehmen genutzt haben. Da zahlreiche Firmen inzwischen mit der Umsetzung befasst sind, liegen nun belastbare Kostenschätzungen vor und bestätigen im Rückblick die berechtigten Bedenken, die VdL und CEPE frühzeitig kommuniziert haben.

Neue Gefahrenklassen über eine Delegiertenverordnung eingeführt 

Bereits 2023 wurden über eine Delegiertenverordnung neue Gefahrenklassen eingeführt. Diese umfassen die endokrinen Disruptoren mit Wirkung auf die menschliche Gesundheit, endokrine Disruptoren mit Wirkung auf die Umwelt, Stoffe mit persistenten, bioakkumulierbaren und toxischen Eigenschaften (PBT), Stoffe mit sehr persistenten und sehr bioakkumulierbaren Eigenschaften (vPvB) und Stoffe mit persistenten, mobilen und toxischen Eigenschaften (PMT) oder sehr persistenten, sehr mobilen Eigenschaften (vPvM). 

Bedeutende Änderungen für die Farben-, Lack- und Druckfarbenindustrie 

In einem zweiten Schritt wurde der Verordnungstext geändert und im November 2024 im europäischen Amtsblatt veröffentlicht. Die Umsetzung der regulatorischen Anforderungen betrifft nahezu alle Produkte der Branche – insbesondere die neuen Vorgaben zur Ausgestaltung der Etiketten. Im Fokus stand hierbei für die Kommission eine bessere Lesbarkeit.

Die Mindestschriftgrößen für Kennzeichnungsetiketten wurden neu festgelegt: Für Gebinde bis maximal 0,5 Liter beträgt die Schriftgröße 1,2 mm, während sie für Gebinde ab 50 Liter auf 2,0 mm erhöht wird. Der Zeilenabstand soll dabei 120 % betragen und die Schriftfarbe muss schwarz auf weißem Hintergrund sein. 

Faltetiketten können ab sofort in allen Fällen flexibel genutzt werden, allerdings mit klar definierten Gestaltungsrichtlinien. Auch die Regelungen für Werbung wurden angepasst, zukünftig müssen Kennzeichnungselemente auch bei Online- Angeboten angegeben werden, um die Konsumenten vor dem Kauf über eventuelle Gefährdungen zu informieren. Jegliche Werbung für gefährlich eingestufte Stoffe oder Gemische muss bestimmte Gefahrenkennzeichnungen enthalten. Dazu gehören Piktogramme, das Signalwort, H-Sätze und EUH-Sätze. Wenn die Werbung an die breite Öffentlichkeit (Endverbraucher) gerichtet ist, muss zusätzlich ein Sicherheitshinweis enthalten sein. Es wurde eine neue Updatefrist nach einer schärferen Selbsteinstufung durch den Rohstofflieferanten festgelegt, die maximal 6 Monate beträgt. Diese Frist gilt für jede Station der Lieferkette nach eigener Neubewertung.

Technische und logistische Herausforderungen: Anpassungen in Produktion, Kennzeichnung und Dokumentation 

Zahlreiche Hersteller sehen sich gezwungen, bestehende Gebindegrößen, Etikettenformate und Lagerprozesse grundlegend zu überarbeiten. Besonders betroffen sind kleinvolumige Verpackungen, bei denen die geforderten Etikettenvorgaben physisch kaum noch umsetzbar sind. Die Folge: eine Reduktion der Sortimentsvielfalt, da viele Produkte unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten unrentabel werden. In vielen Fällen müssen die Mitgliedsfirmen auf Faltetiketten umsteigen, doch das ist mit umfassenden technischen Anpassungen verbunden. Bestehende Drucksysteme, Maschinen und Produktionsprozesse sind häufig nicht kompatibel mit den neuen Anforderungen. In vielen Fällen mussten neue Etikettier- Linien aufgebaut, Spezialdrucker, Falt- und Klebemaschinen sowie entsprechende Softwarelösungen angeschafft werden. Auch der Aufbau neuer Websites oder Datenbanken zur digitalen Kennzeichnung zählt zu den Umrüstungsmaßnahmen.

Finanzielle Belastung: Kosten für Umstellung, neue Etiketten, IT- Systeme, Druckverfahren und mehr 

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der neuen Regelungen für Unternehmen sind erheblich. Die Umstellungskosten reichen von mehreren hunderttausend bis zu mehreren Millionen Euro – abhängig von Unternehmensgröße, Produktspektrum und bestehender Infrastruktur. Allein die Kosten für neue Etikettenformate, Mehrlagenetiketten oder spezielle Druckverfahren können einen signifikanten Anteil der Produktionskosten ausmachen – in Einzelfällen bis zu 15 %. Hinzu kommen Investitionen in zusätzliche Lagerflächen, neue IT-Systeme oder die Entsorgung bereits gedruckter Etiketten. Einige Unternehmen sehen sich zudem durch Lagerbedarfserhöhungen mit Kosten in zweistelliger Millionenhöhe konfrontiert, da sich die Zahl der Artikelvarianten durch sprachliche Anforderungen vervielfacht. 

Personeller Mehraufwand: Schulungen, Personalressourcen und interne Abläufe 

Auch personell ist die Umsetzung mit erheblichen Aufwendungen verbunden. Viele Unternehmen mussten neue Stellen schaffen oder bestehende Ressourcen umverteilen, um den erhöhten Kennzeichnungs-, Dokumentations- und Lageraufwand zu bewältigen. Der zusätzliche Bedarf reicht dabei von einzelnen Vollzeitäquivalenten bis hin zu zweistelligen FTE-Zahlen. Insbesondere in der kundenspezifischen Fertigung, wo kurze Reaktionszeiten gefordert sind, geraten Unternehmen an ihre Kapazitätsgrenzen.

Alternative Lösungsansätze/ Digitalisierung: Einsatz digitaler Tools, automatisierte Produktmeldungen 

Als praktikable Alternative zu physischen Mehrlagenetiketten schlagen einige rückmeldende Unternehmen die Nutzung digitaler Lösungen vor. QR-Codes könnten Informationen effizient und mehrsprachig bereitstellen – ein Modell, das in der Pharmabranche bereits etabliert ist. Besonders im B2B-Bereich wird eine Gleichstellung digitaler Kennzeichnung mit physischen Etiketten gefordert. Auch automatische Produktmeldungen und zentral gepflegte digitale Datenbanken könnten künftig zur Entlastung beitragen und zugleich regulatorische Anforderungen erfüllen – unter Einhaltung hoher Sicherheits- und Qualitätsstandards. 

Belastung durch Produktmeldungen (PCN): Umfang, Fristen, Prozessoptimierungen 

In diesem Zusammenhang wurde auch der massive Aufwand der Meldung an die Giftinformationszentren thematisiert. Unternehmen beklagen, dass der Aufwand – sowohl finanziell als auch technisch – in keinem Verhältnis zum Nutzen steht, insbesondere bei Kleinmengen oder Sonderchargen. Nationale Gebührenordnungen und sprachliche Anforderungen führen zusätzlich zu Wettbewerbsnachteilen. Die Forderung nach einer europaweit einheitlichen, möglichst digitalisierten und schlankeren Lösung wird daher branchenübergreifend geteilt. Ferner wurde die Forderung aufgebracht, Anhang VIII der CLP-Verordnung dahingehend zu ändern, dass in englischer Sprache eingereichte PCN-Dossiers in allen EU-Mitgliedstaaten gültig sind.

Perspektiven und nächste Schritte 

Im Zuge der Ankündigungen der EU-Kommission zu Bürokratieabbau, Vereinfachung und mehr Wettbewerbsfähigkeit, versuchen VdL und CEPE gemeinsam mit vielen verbündeten Verbänden, eine kurzfristige Anpassung der CLP-Verordnung zu erwirken. Die Kommission arbeitet aktuell an einer weiteren „Omnibus“-Verordnung, welche chemie-relevante Themen beinhalten soll. Dabei könnte auch eine Anpassung der CLP-Verordnung vorgenommen werden, die das bisherige Regelwerk ergänzen oder verändern könnte. Natürlich sind hier die fundierten Daten aus der Mitgliedschaft ausgesprochen hilfreich, um der Kommission die Betroffenheit der Farben- und Lackindustrie deutlich zu machen. „Omnibus“ bezeichnet ein spezielles EU-Gesetzgebungsverfahren, bei dem mehrere einschlägige Gesetzestexte gleichzeitig geändert werden. Dabei können unter anderem eine oder mehrere EU-Vorschriften ganz oder teilweise angepasst bzw. aufgehoben werden. Für Anfang Juli 2025 ist ein Aktionsplan für die Chemieindustrie angekündigt, dieser Plan soll die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Chemieindustrie stärken und gleichzeitig den Übergang zu einer nachhaltigeren und klimafreundlicheren Produktion fördern. Wir erwarten in diesem Rahmen näheres zu einem Chemikalien-Omnibus zu erfahren.

Unser besonderer Dank gilt den Mitgliedsunternehmen für ihre differenzierten Rückmeldungen, die eine realitätsnahe Einschätzung der neuen Anforderungen ermöglicht haben.

Resümee

Mit der Revision der CLP-Verordnung sehen sich viele Unternehmen der Farben-, Lack- und Druckfarbenindustrie einem erheblichen Mehraufwand gegenüber – sowohl organisatorisch als auch finanziell. Die praktischen Folgen reichen von tiefgreifenden Umstellungen in Produktion und Kennzeichnung bis hin zu spürbaren Belastungen bei Personal und IT-Infrastruktur. Besonders problematisch ist dabei, dass viele Vorgaben nur mit großem technischem Aufwand oder in bestimmten Fällen sogar kaum umsetzbar sind. Die aktuellen Änderungen zeigen, wie stark neue Regulierungen in bestehende Strukturen eingreifen können – oft ohne ausreichende Rücksicht auf wirtschaftliche Realitäten. Inwieweit die Maßnahmen in der Verordnung tatsächlich geeignet sind, den Verbraucherschutz wirksam zu verbessern, ist bislang nicht belegt und darf kritisch hinterfragt werden. Ob und in welchem Umfang eine Omnibus-Verordnung noch Verbesserungen bringt, bleibt abzuwarten – die Chance dafür ist jedoch gegeben.

Aline Rommert

Technische Referentin für die Themen
Produktsicherheit, Chemikalienrecht,
Nanotechnologie und Sicherheitsdatenblätter

Tel.: 069 2556 1705
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