Lacke & Farben aktuell

Serie: European Green Deal (III)

|   Green Deal

Herkulesaufgabe aus Brüssel: Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit

Das Wettrennen um die globale Vorreiterrolle in Sachen Nachhaltigkeit verschärft sich. Nachdem bereits China und Japan in Teilen dem europäischen Green Deal nachzogen, könnte der neu gewählte US-Präsident Joe Biden die Nachhaltigkeitsbemühungen der USA forcieren. Die EU-Kommission erhöht das Tempo und veröffentlicht die auch für die Lack- und Druckfarbenindustrie folgenreiche Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (CSN).

Auch wenn die CSN die fundamentale Rolle anerkennt, die chemische Produkte für die Gesellschaft und die essenziellen technologischen Entwicklungen spielen, enthält sie auch viele Aspekte, die dies in Zukunft erheblich erschweren würden und aus Sicht des VdL den Zielen des Green Deals entgegenstehen.

Hohe Zielsetzungen der EU-Kommission

Die insgesamt 56 Einzelinitiativen der CSN sollen bis 2024 einen sicheren und nachhaltigen Umgang mit chemischen Stoffen etablieren, nicht-toxische Materialkreisläufe und eine sauberere Produktion von chemischen Produkten fördern und gleichzeitig die strategische Autonomie der EU verbessern.

Dafür soll vor allem der EU-Rechtsrahmen für Chemikalien (REACH, CLP) gestärkt werden, um vor als „gefährlich“ eingestuften Stoffen zu schützen. Die EU-Kommission plant den generischen Ansatz des Risikomanagements, der somit eigentlich ein gefahrenbasierter Ansatz ist, auf Konsumgüter auszuweiten und einen Gruppenansatz für die Beschränkung bestimmter chemischer Stoffe festzulegen. Des Weiteren sieht die CSN vor, Kriterien für essenzielle Verwendungszwecke zu definieren und den strategischen Rahmen für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz zu erneuern.

Mit spezifischen Einzelinitiativen adressiert die CSN z.B. Cocktaileffekte, für die ein Extrapolationsfaktor zur Stoffsicherheitsbeurteilung von Substanzen unter REACH eingeführt werden soll, endokrine Disruptoren und die Stoffgruppe der Per- und Polyfluoralkyl-Substanzen. 

"Besonders wichtig ist, die schädlichsten Chemikalien nicht mehr in Verbraucherprodukten wie Spielzeug, Babyartikel, Textilien und Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, zu verwenden." Frans Timmermans, EU-Kommissar für Klimaschutz

Der europäischen Chemikalienagentur ECHA soll eine stärkere Rolle zukommen. Reformbedarf wird auch im Zulassungs- und Beschränkungsprozess von REACH im Hinblick auf deren praktische Umsetzung gesehen, und die EU-Kommission soll ein Initiativrecht zu harmonisierten Einstufungen nach CLP erhalten. Die Stoffsicherheitsbeurteilungen sollen besser koordiniert werden ("ein Stoff, eine Bewertung"). Stoffe, die nicht mit den REACH-Grundsätzen konform sind, sollen den Null-Toleranz- Ansatz erfahren, der gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten durchgesetzt werden soll. Für Polymere und in geringen Mengen hergestellten Stoffen sollen die Informationsanforderungen von REACH geändert werden, um als gefährlich eingestufte Stoffeigenschaften mengenunabhängig zu identifizieren. Zusätzlich will die CSN die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik stärken und die internationale Vorreiterrolle sicherstellen.

Gesetzgebung erfüllt ihren Zweck

In dem Bemühen um eine verbesserte Chemikaliengesetzgebung in der EU dürfen die bereits heute vorhandenen, anerkanntermaßen weltweit höchsten Schutzstandards für Mensch und Umwelt nicht außer Acht gelassen werden. Seitens der EU-Kommission wurde mehrfach festgestellt, dass der aktuelle chemikalienrechtliche Rahmen, insbesondere REACH, funktioniert.

Innovationen brauchen Planungssicherheit

Damit die Hersteller von Farben, Lacken und Druckfarben befähigt bleiben, ihren Beitrag zu den großen Herausforderungen des europäischen Green Deals und der damit verbundenen wirtschaftlichen Transformation zu leisten, ist ein stabiles legislatives Klima essenziell.

Die angedachten und erkennbar gravierenden Gesetzesänderungen führen hingegen zu Unsicherheiten, hemmen Innovationen und verzögern den dringend benötigten wirtschaftlichen Aufschwung in der EU um Jahre. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der Covid-19 Krisenbewältigung zu beachten.  

Verwendung von Stoffen und Gemischen ist entscheidend

Im Hinblick auf die Zielsetzungen der CSN ist darauf hinzuweisen, dass kein chemischer Stoff per se sicher oder nachhaltig bzw. unsicher und nicht-nachhaltig ist. Dies hängt vor allem von der Verwendung ab. Um dies zu berücksichtigen, ist eine wissenschaftsbasierte und gesamtheitliche Betrachtung der Nachhaltigkeit erforderlich. Vielmehr schließen sich Nachhaltigkeit und als gefährlich eingestufte Stoffe nicht per se aus. Daher würde eine pauschale Einsatzreduktion von als gefährlich eingestuften Stoffen weder zur Sicherheit der Verbraucher beitragen noch die Nachhaltigkeit verbessern. Es kommt eher darauf an, die sichere und nachhaltige Verwendung entsprechend eingestufter Stoffe zu stärken sowie spezifische Risiken zu identifizieren und durch das Ergreifen von entsprechenden Risikominderungsmaßnahmen auszuschließen.

Dies ist in der Lack- und Druckfarbenindustrie bereits gelebte Praxis, die – wo immer dies möglich und sinnvoll ist – gefährliche Stoffe substituiert. Eindeutige Definitionen von „nachhaltigen Chemikalien“ und von „essenziellem Einsatz“ fehlen, wodurch keine abschließende Bewertung möglich ist. In den Produkten der Lack- und Druckfarbenindustrie wird eine Vielzahl essenzieller chemischer Stoffe verwendet, die deren Funktion und Wirksamkeit erst ermöglichen.

Wissenschaftsbasiertes Risikomanagement

Das bewährte wissenschaftsbasierte Konzept der Risikobewertung muss daher für alle Stoffe erhalten bleiben. Den vorgeschlagenen Weg bestimmte Stoffe allein aufgrund ihrer chemikalienrechtlichen Einstufung zu beschränken, sieht der VdL sehr kritisch. Bei der Beurteilung chemischer Stoffe sollte nicht einseitig auf gefährliche Eigenschaften geblickt werden; auch die Exposition bei der Herstellung und Verwendung und damit das tatsächliche Risiko müssen in die Beurteilung einfließen.  

Der Green Deal als ganzheitlicher Ansatz

Der Green Deal beinhaltet Ansätze, die eine ganzheitliche Betrachtung des Chemikalienmanagements im Sinne von Lebenszyklusanalysen erfordern. Daher muss auch die CSN ein ganzheitliches Verständnis der nachhaltigen Verwendung von chemischen Stoffen aufweisen, welches weit über die Beschränkung als gefährlich eingestufter Stoffe hinausgeht. So gewährleistet das Auftragen von Beschichtungen eine hohe Funktionalität und verlängert die Haltbarkeit von Produkten und Gegenständen. Das Leistungsvermögen der Farbenindustrie muss auf allen drei Ebenen der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden: Neben den ökologischen Kriterien sind auch der soziale Wert und der ökonomische Beitrag der Industrie für die Gesellschaft zu betrachten. Das sehr enge Verständnis von Nachhaltigkeit, welches in der CSN zum Ausdruck kommt, stellt die Zukunft effizienter funktionaler Beschichtungen in Frage und steht somit den Zielen der zirkulären Wirtschaft und dem Green Deal entgegen.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die CSN das Ziel haben sollte, die bestehende Komplexität im Chemikalienrecht aufzulösen und diese nicht weiter zu erhöhen. Die 56 angekündigten Einzelmaßnahmen lassen leider das Gegenteil vermuten. Mit dem hohen Tempo der Brüsseler Transformationsagenda Schritt zu halten, ist ohne Frage die Herkulesaufgabe der Lack- und Druckfarbenindustrie der kommenden Jahre. Um dieser gerecht zu werden, wurden bereits Verbandsaktivitäten in die Wege geleitet. So wurde jetzt eine erste VdL-Position erarbeitet, und auch auf CEPE-Ebene erfolgte eine Bewertung der CSN, um ein koordiniertes Vorgehen zu gewährleisten.  

 

Lucas Schmidt-Weihrich
ist Referent für Public Affairs
beim VdL.
schmidt-weihrich@vci.de