Lacke & Farben aktuell

Gift für die Farbenindustrie

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EU - Studie erwartet Milliardenkosten für die Farben- und Lackindustrie – Überbordende Bürokratie ohne Nutzen

Kritik von vielen Seiten

Da von verschiedenen Branchen Kritik an der Umsetzbarkeit des neu geschaffenen Anhangs geäußert wurden, hat die europäische Kommission im Juni 2018 eine Machbarbarkeitsstudie bei dem Beratungsunternehmen „Wood“ beauftragt, um die Umsetzbarkeit der neuen Regeln zu prüfen und Probleme vorab zu identifizieren.

Im Februar wurden die vorläufigen Ergebnisse und ein Interimsbericht dieser Machbarkeitsstudie auf einem Workshop präsentiert. Untersucht wurden Bauprodukte (Zemente und andere), Petroleum- Produkte, Industrielle Gase, Farben und Lacke, Seifen und Reinigungsmittel sowie Duftstoffe. Hierbei zeigte sich, dass die Farben- und Lackindustrie die mit Abstand am stärksten betroffene Branche in der Chemie sein wird.

Dem Bericht zufolge wird erwartet, dass die Gesamtzahl der Neumeldungen an die Giftinformationszentren von Farben und Lackherstellern europaweit um das 300-fache ansteigen wird: von heute geschätzten ca. 150.000 auf sage und schreibe rund 44,5 Millionen pro Jahr. Doch damit nicht genug: Hinzu kommen geschätzte 1,69 Millionen Aktualisierungen der Meldungen pro Jahr. Für Deutschland kann somit ein Anstieg von knapp 32.000 aktuellen auf 11 Millionen zukünftige Meldungen geschätzt werden.

Probleme, die der VdL seit vielen Jahren in die Diskussion eingebracht hat, finden sich auch in dem Interimsbericht wieder. Wie etwa, wenn ein Gemischbestandteil von mehreren Lieferanten bezogen wird. Nach jetzigem Stand würde der Lieferantenwechsel zu einer Aktualisierung der Meldung führen, obwohl die Gemischbestandteile technisch gleichwertig sind und eine gleiche Gefahreneinstufung aufweisen.

Entlastung greift nicht

Ein anderes Beispiel ist der generische Produktidentifikator (GPI). Die Verwendung eines generischen Produktidentifikators war als Möglichkeit einer Gruppenmeldung vorgesehen, wenn einem Gemisch ausschließlich eine Farbe bis zu einem gewissen Prozentsatz zugefügt wird. Diese Möglichkeit ist für die Farbenund Lackindustrie allerdings kaum nutzbar, da als Randbedingung festgelegt wurde, dass der GPI nur dann verwendet werden kann, wenn keines der Gemischbestandteile als gesundheitsgefährdend eingestuft ist. In Folge zeigen auch die Zwischenergebnisse der Machbarkeitsstudie für den Bereich Farben und Lacke, dass für 54% der Gemische die vorgesehene Entlastung nicht greift. Auch das ist ein Grund für den hohen Anstieg an Meldungen und Aktualisierungen. Nicht vergessen darf man zudem den zeitlichen Aufwand, den diese Vielzahl von Meldungen bedarf. Angaben der VdL-Mitglieder zufolge kann eine Meldung, abhängig von der Rezeptur, zwischen zwei und sieben Stunden in Anspruch nehmen. Neben Rezepturanalyse, Prüfung von
Sicherheitsdatenblättern und technischen Merkblättern ist hierbei eine besondere Hürde die Tatsache, dass die UFIs (Unique Formular Identifier) fehlen und unter Umständen erst 2024 (abhängig von den Fristen des Anhang VIII) von den Rohstoffherstellern bereitgestellt werden.

Kosten in Milliardenhöhe

Eine Studie der EU-Kommission hat die Kosten für eine Meldung 2015 auf 220 Euro geschätzt. VdL-Mitgliedsfirmen hingegen schätzten in ihren Beiträgen zur Machbarkeitsstudie die Kosten für eine Meldung zwischen 300 Euro und 600 Euro ein. Für die 11 Millionen Meldungen aus Deutschland hieße das also Kosten zwischen 3,3 und 6,6 Milliarden Euro. Bei einem Branchen-Jahresumsatz von 7 Milliarden Euro ist diese Belastung nicht tragbar und existenzgefährdend. Unbefriedigend hinsichtlich der schwindenden Zeit ist auch, dass sowohl die technischen Voraussetzungen (IT-Tools) als auch notwendige Leitfäden noch nicht verfügbar bzw. unvollständig sind und wahrscheinlich auch für die Farben- und Lackindustrie wichtige Eigenschaften, wie etwa die Möglichkeit eines Bulk-Uploads in der ersten Version der Software des Meldeportals, nicht enthalten sein werden.

Aufwand ist nicht gerechtfertigt

Hinzu kommt, dass dieser enorme Aufwand nicht gerechtfertigt ist, wie man zum Beispiel den Zahlen des Jahresberichts des Giftinformationszentrums Nord für das Jahr 2017 entnehmen kann. Demnach entfielen bei 41.161 Gesamtanfragen lediglich 354 Anfragen auf „Anstrichstoffe“. Davon wiederum betrafen nur circa die Hälfte (Dispersions-) Farben und Lacke, also insgesamt lediglich 176 (0,4%). Zu Vergiftungssymptomen durch Farben und Lacke kam es nur in wenigen Einzelfällen, von denen auch keiner schwere Folgen hatte.

Dagegen wurden weit über die Hälfte der Fälle als „symptomlos“. Im Interimsbericht der Machbarkeitsstudie werden von den verschiedenen Branchen Vorschläge für praktikablere Lösungen unterbreitet. Einige dieser Vorschläge könnten auch die Meldungen im Bereich der Farben und Lacke erleichtern.

Hilfen funktionieren nicht

Das im Zwischenbericht vorgeschlagene Konzept der „comparable MIMs“ würde es zum Beispiel ermöglichen, in engen, vorgegebenen Grenzen MIMs mit vergleichbarer Zusammensetzung gegeneinander auszutauschen, ohne dass jedes Mal eine Aktualisierung der Meldung und ein neuer UFI erforderlich wäre.

Ein weiterer Vorschlag betrifft die Überarbeitung der Kriterien für generische Produktidentifikatoren (GPI). Der zu enge Anwendungsbereich des generischen Produktidentifikators ist für einige Sektoren besonders problematisch. Aus Gründen der Praktikabilität sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, die bestehenden Kriterien im Anhang VIII zu erweitern. Das würde eine breitere Anwendung des GPI ermöglichen und die Anzahl der Meldungen erheblich reduzieren.

VdL fordert Überarbeitung

Der VdL unterstützt die Überarbeitung des Anhang VIII nachdrücklich. Damit es allerdings dazu kommen kann, muss auch der Umsetzungsbeginn verschoben werden.

Wir setzen uns daher für eine Verschiebung um zwei Jahre auf den 1. Januar 2022 ein, damit auf Basis der Studie die Änderungen in Anhang VIII verabschiedet, die entsprechenden Leitlinien und IT-Werkzeuge erstellt und den Unternehmen ausreichend Zeit bleibt, ihrerseits IT-Lösungen zu erarbeiten. Die Entscheidung über eine zeitliche Verschiebung sollte so schnell wie möglich erfolgen, um für allen Beteiligten Rechts- und Planungssicherheit herzustellen.

Nur so ist eine Zustimmung von Rat und Europäischem Parlament vor dem 1. Januar 2020 überhaupt möglich. Auch die deutschen Übergangsfristen müssten dann entsprechend angepasst werden.

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